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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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wenn er eine klare und eindeutige Einschätzung abgibt, vorausgesetzt diese ist objektiv. Je klarer und eindeutiger die Einschätzung, desto klarer und eindeutiger der Fehler. Das ist das Berufsrisiko des Direktors von Aman.
    In ihrem Buch Military Misfortunes behaupten die Historiker Eliot A. Cohen und John Gooch, Zeiras Eindeutigkeit habe sich als fatal erwiesen: »Der Fehler der Aman-Führung im September und Oktober 1973 war nicht ihre Überzeugung, dass Ägypten nicht angreifen würde, sondern die Gewissheit, mit der sie diese Überzeugung vorbrachte ... Statt den Premierminister, den Stabschef und den Verteidigungsminister auf die Ungewissheit der Lage hinzuweisen, bestanden sie bis zum letzten Tag darauf, dass es nicht zu einem Krieg kommen würde, Punkt.«
    Aber Zeira gab natürlich deshalb eine eindeutige Antwort, weil die Politiker und die Öffentlichkeit genau das von ihm erwarteten. Niemand will eine ambivalente Auskunft. Heute gibt uns das FBI farbkodierte Warnungen und spricht von »erhöhtem Kommunikationsaufkommen« zwischen mutmaßlichen Terroristen. Diese Information verärgert uns, weil sie so vage ist. Was bedeutet »erhöhtes Kommunikationsaufkommen«? Wir wollen klare Ansagen. Wir wollen glauben, dass die Absichten unserer Feinde ein Rätsel sind, das unsere Geheimdienste lösen und zu einer Geschichte zusammensetzen können. Aber die Teile ergeben selten eine eindeutige Geschichte - oder erst im Nachhinein, wenn ein rühriger Journalist oder ein Untersuchungsausschuss auf die Idee kommt, sie zu schreiben.
    10. März 2003

Die Kunst des Versagens
Warum manche Menschen blockieren und andere in Panik geraten
1.
    Im dritten und entscheidenden Satz des Wimbledonfinales 1993 schien Jana Novotna einen Moment lang unbesiegbar. Sie führte mit 4:1 und hatte bei 40:30 Aufschlag, das heißt, sie war einen Punkt vom Gewinn des Spiels und fünf Punkte von der begehrtesten Trophäe der Tenniswelt entfernt. Sie hatte gerade eine Rückhand geschlagen, die das Netz gestreift hatte und so abrupt auf der anderen Seite herunter gefallen war, dass ihre Gegenspielerin Steffi Graf nur frustriert zuschauen konnte. Die Tribüne des Centre Court war bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Duke und die Duchesse of Kent saßen in ihren angestammten Plätzen in der königlichen Loge. Novotna trug Weiß, sie hatte ihr blondes Haar zurückgebunden, sie schien sich ihrer Sache sicher. Und dann passiert es. Sie schlug ihren Aufschlag ins Netz. Sie hielt inne und konzentrierte sich auf den zweiten Aufschlag. Sie warf den Ball in die Luft, holte aus, doch diesmal war es noch schlimmer. Ihr Schlag schien kraftlos, und kam nur aus dem Arm, ohne Unterstützung der Beine und des Oberkörpers. Doppelfehler. Beim nächsten Aufschlag reagierte sie zu langsam auf einen hohen Ball von Graf und verpasste einen Vorhandvolley. Zum Abschluss hämmerte sie einen Schmetterball ins Netz. Statt 5:1 stand es nun 4:2. Aufschlag Graf, ein leichtes Spiel, 4:3. Aufschlag Novotna. Sie warf den Ball nicht hoch genug. Sie blickte zu Boden. Ihre Bewegungen hatten sich sichtbar verlangsamt. Erster Doppelfehler, zweiter Doppelfehler, dritter Doppelfehler. Eine weite Vorhand von Graf spielte sie nicht diagonal zurück, um so Zeit zu gewinnen und wieder auf ihre Position zurückzulaufen, sondern flach und direkt auf ihre Gegenspielerin. 4:4. Hatte sie plötzlich erkannt, wie erschreckend nah sie dem Sieg war? Hatte sie sich daran erinnert, dass sie noch nie ein großes Turnier gewonnen hatte? Hatte sie über das Netz geblickt und dort Steffi Graf gesehen - Steffi Graf! -, die beste Spielerin ihrer Generation?
    Sichtbar nervös stand Novotna an der Grundlinie und wartete auf Grafs Aufschlag. Sie wippte von einer Seite zur anderen und sprang auf und ab. Sie redete mit sich selbst. Sie blickte sich verloren in der Arena um. Graf gewann das Spiel zu null gegen eine Novotna, die sich wie in Zeitlupe bewegte. 5:4. An der Außenlinie trocknete die Tschechin mit einem Handtuch erst das Gesicht und den Schläger, dann jeden einzelnen Finger. Es war ihr Aufschlag. Sie schlug einen Routine- volley ins Aus, schüttelte den Kopf, sprach mit sich selbst. Der erste Aufschlag ging ins Netz, der zweite kam zwar an, doch den Rückhandreturn erwischte sie derart schlecht, dass ihr der Ball wie eine Rakete vom Schläger sprang. Novotna war nicht wiederzuerkennen. Sie war keine Weltklassespielerin mehr, sondern eine Anfängerin. Sie ging unter dem Druck in die Knie, aber der

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