Was der Hund sah
Informationen, um einen japanischen Angriff vorherzusehen, doch diese Informationen verteilten sich auf die verschiedenen Aufklärungsdienste. Armee und Marine kommunizierten nicht miteinander, sondern lagen in ständigem Streit und Konkurrenzkampf. Das war einer der Gründe, warum 1947 mit der CIA ein zentraler Geheimdienst geschaffen wurde, der sicherstellen sollte, dass alle Informationen an einer einzigen Stelle zusammenliefen. Zwei Jahrzehnte nach Pearl Harbor erlebten die Vereinigten Staaten in der Schweinebucht ein neuerliches Informationsfiasko: Die Kennedy-Regierung unterschätzte die militärischen Kapazitäten Kubas und den Rückhalt, den Fidel Castro in der Bevölkerung hatte. Diesmal war die Diagnose jedoch eine andere. In seiner berühmten Untersuchung der »Gruppendenke« kam Irving L. Janis zu dem Schluss, dass das Desaster der Schweinebucht nur möglich war, weil die Operation von einer kleinen, hermetischen Gruppe vorbereitet worden war, die keine kontroversen Diskussionen und anders lautenden Vorstellungen zuließ. Nun erwies sich die Zentralisierung als Problem. Harold Wilensky, einer der einflussreichsten Organisationssoziologen der Zeit, lobte die »konstruktive Rivalität«, wie sie Franklin D. Roosevelt gefördert hatte, und die ihm geholfen habe, sämtliche Informationen zu erhalten, die er zur Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise benötigte. In seinem Klassiker Organizational Intelligence (Die Intelligenz der Organisation) aus dem Jahr 1967 schrieb Wilensky, Roosevelt verwendete die Auskünfte des einen anonymen Informanten, um die Auskünfte des anderen zu überprüfen und sorgte auf diese Weise dafür, dass beide die Augen offen hielten. Er besetzte Positionen mit starken Persönlichkeiten und verteilte ihre Aufgaben so, dass Kompetenzstreitigkeiten vorprogrammiert waren... In der Außenpolitik gab er Moley und Welles Aufgaben, die sich zum Teil mit denen von Außenminister Hull überschnitten. In der Energiepolitik übertrug er Ickes und Wallace nahezu identische Aufgaben. In der Sozialpolitik stiftete er Verwirrung zwischen Funktionen und Namen, als er die PWA Ickes unterstellte, und die WPA Hopkins. In der Politik befand sich Farley im ständigen Wettstreit mit anderen Beratern. Die Folge: Argumente wurden frühzeitig präsentiert, und der Präsident und die Experten waren in der Lage, die entscheidenden Optionen abzuwägen, noch während sich diese stellten.
Die Geheimdienste aus der Zeit vor dem 11. September waren das Produkt dieser Philosophie. FBI und CIA sollten in Konkurrenz zueinander arbeiten, genau wie Ickes und Wallace. Diese Auffassung hat sich seither geändert. Senator Shelby rügt, dass das FBI und die CIA miteinander konkurrieren. Sein Bericht kommt zu dem Schluss, der 11. September sei »eine Lektion, welche Gefahren es mit sich bringt, wenn Organisationen intern und untereinander Informationen nicht rasch und effizient weitergeben«. Shelby fordert daher, die Geheimdienste zu zentralisieren und die Zusammenarbeit in den Mittelpunkt zu stellen. Er verlangt »eine zentrale, nationale Stelle zur Sammlung von Informationen, die über den konkurrierenden Bürokratien steht und von diesen unabhängig ist«. Er ist der Ansicht, die Aufklärungsdienste sollten von einer kleinen, hermetischen Gruppe geleitet werden, und schlägt vor, dem FBI sämtliche Aufgaben der Terrorismusbekämpfung zu entziehen. Shelby bescheinigte dem FBI eine tief verwurzelte individuelle Denkweise, die beweisgestützte Darstellungen von individuellen kriminellen Verhaltensweisen höher bewertet als Wahrscheinlichkeitsabschätzungen, die auf unvollständigen und fragmentarischen Informationen basieren und der Entscheidungsfindung dienen... Polizeiliche Organisationen behandeln Informationen, schlussfolgern und denken anders als Aufklärungsdienste. Aufklärer geben sicher schlechte Polizisten ab, aber es dürfte deutlich geworden sein, dass Polizisten umgekehrt schlechte Aufklärer sind.
In seiner Regierungserklärung des Jahres 2003 erklärte Präsident Bush im Einklang mit Shelbys Vorschlägen, er wolle eine nationale Behörde zur Terrorismusbekämpfung ins Leben rufen, eine Sondereinheit, in der die Anti-Terror-Aktivitäten von CIA und FBI gebündelt werden sollten. Die einst geschätzte kulturelle und organisatorische Vielfalt der Aufklärungsdienste ist damit passe.
Nach dem 11. September wäre es jedoch genauso gut möglich gewesen, Gründe für den Erhalt des bestehenden Systems zu finden. Ist
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