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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Kennedy junior ums Leben kam. Die Einzelheiten des Fluges sind bekannt. An einem Freitagabend im Juli 1999 startete Kennedy mit seiner Frau und seiner Schwiegermutter in Essex County, New Jersey, um nach Martha’s Vineyard zu fliegen. Die Nacht war dunstig. Kennedy flog die Küste von Connecticut entlang und orientierte sich an den Lichtern unter ihm. Bei Westerly, Rhode Island, verließ er die Küste und überquerte Rhode Island Sound. An diesem Punkt verlor er in der Dunkelheit und dem Nebel offenbar die Orientierung und begann mit einer Reihe von unerklärlichen Manövern. Erst zog er nach rechts und weiter hinaus aufs Meer, dann wieder nach links in Richtung Festland. Er gewann und verlor an Höhe. Er beschleunigte und bremste. Wenige Kilometer vor dem Ziel verlor er die Kontrolle über die Maschine und stürzte ins Meer.
    Kennedy hatte die Tragflächen nicht waagrecht gehalten. Das ist entscheidend, denn wenn ein Flugzeug sich zur Seite neigt, fliegt es eine Kurve und die Tragflächen verlieren an Auftrieb. Wird der Fehler nicht korrigiert, beschleunigt sich dieser Prozess. Das Flugzeug kippt weiter, die Kurve wird enger, und die Maschine stürzt in einer Spirale ab. Piloten sprechen von einer Todesspirale. Aber warum beendete Kennedy den Sinkflug nicht einfach? Weil es bei schlechter Sicht und unter Stress erstaunlich schwierig ist, die Tragflächen gerade zu halten und überhaupt zu bemerken, dass man in einer Todesspirale in Richtung Boden stürzt. Kennedy scheiterte in einer Stresssituation.
    Wäre Kennedy tagsüber oder bei Mondlicht geflogen, dann wäre nichts passiert. Bei einem Blick aus dem Cockpit erkennt der Pilot am Horizont, ob seine Tragflächen waagrecht sind oder nicht. Doch nachts ist der Horizont unsichtbar. Es ist nicht zu erkennen, ob sich das Flugzeug zur Seite neigt. Am Boden wissen wir dank unseres Gleichgewichtsorgans im Ohr selbst im Dunkeln, ob wir gerade stehen oder nicht. Doch im Spiralflug wirken die Zentrifugalkräfte des Flugzeugs so auf das Gleichgewichtsorgan, dass der Pilot meint, die Tragflächen waagrecht zu halten, auch wenn das gar nicht stimmt. Wenn Sie in einer Linienmaschine sitzen, die nach dem Start eine Kurve fliegt und sich um 30 Grad neigt, dann rutscht Ihnen das Buch des Nachbarn ja auch nicht auf den Schoss, und ein Stift, der am Boden liegt, rollt nicht »nach unten«. Dank der Zentrifugalkräfte meinen die Insassen eines Flugzeugs selbst bei einer Wende, die Maschine befinde sich in waagrechter Position.
    Da dies kaum vorstellbar ist, habe ich mich mit William Langewiesche, Autor des Buches Inside the Sky, in ein Flugzeug gesetzt. Wir trafen uns am San Jose Airport, wo die Privatjets der Milliardäre von Silicon Valley stehen. Langewiesche ist ein rauer Bursche von Mitte vierzig, so braungebrannt und attraktiv, wie Piloten zu sein haben (zumindest seit dem Film Der Stoff, aus dem die Helden sind.) Wir hoben bei Sonnenuntergang ab und flogen hinaus aufs Meer, bis wir die Lichter der Küste hinter uns gelassen hatten und der Horizont von der Nacht verschluckt worden war. Langewiesche neigte das Flugzeug leicht nach links. Er nahm die Hände vom Steuerknüppel. Am Himmel konnte ich nichts erkennen, also sah ich auf die Instrumente. Die Nase des Flugs senkte sich. Am Gyroskop erkannte ich, dass die Maschine sich zur Seite neigte, erst 15, dann 30 und schließlich 45 Grad. »Wir befinden uns im Spiralflug«, sagte Langewiesche gelassen. Wir beschleunigten von 180 auf 190 und dann auf 200 Knoten. Die Nadel des Höhenmessers fiel. Das Flugzeug stürzte ab wie ein Stein, wir fielen mit einer Geschwindigkeit von tausend Metern pro Minute. Ich hörte, dass die Motoren etwas lauter brummten, und dass der Wind stärker wurde, während wir beschleunigten. Aber wenn ich mich mit Langewiesche unterhalten hätte, dann hätte ich das nicht wahrgenommen. Hätte die Kabine keinen Druckausgleich gehabt, dann wären mir vermutlich die Ohren zugegangen, vor allem während des Sturzflugs. Ansonsten schien alles vollkommen normal. Die Zentrifugalkraft, die während des Sturzflugs wirkt, ist genauso groß wie die Schwerkraft. Langewiesche erklärte mir, dass Flugzeuge gern in Spiralflug übergehen. Seit Beginn unseres Sturzflugs waren vielleicht sechs oder sieben Sekunden vergangen. Plötzlich korrigierte Langewiesche die Tragflächen und zog den Steuerknüppel nach hinten, um das Flugzeug aufzurichten und den Sturzflug zu beenden. Jetzt spürte ich den Rückstoß und wurde in den Sitz

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