Was der Hund sah
rechnet Zola seinem Freund haarklein vor, wie er mit Zuwendungen von 125 Franc pro Monat über die Runden kommt:
Lass mich überschlagen, was du ausgeben kannst. Ein Zimmer kostet 20 Franc im Monat; das Mittagessen kostet 18 Sous, das Abendessen 22, das sind 2 Franc am Tag oder 60 Franc im Monat ... Dann musst du ein Studio bezahlen. Das Atelier Suisse, eines der günstigeren, verlangt, glaube ich, 10 Franc im Monat. Dazu kommen 10 Franc für Leinwand, Pinsel, Farben; macht zusammen 100 Franc. Damit bleiben dir 25 Franc für Wäsche, Strom und tausend andere Kleinigkeiten, die sich ergeben.
Die nächste wichtige Begegnung in Cezannes Leben war Camille Pissarro. Pissarro nahm Cezanne unter seine Fittiche und brachte ihm das Malen bei. Jahrelang fuhren die beiden gemeinsam aufs Land und arbeiteten Seite an Seite.
Und dann war da noch Ambrose Vollard, der dem 56-jährigen Cezanne seine erste Einzelausstellung ermöglichte. Auf Drängen von Pissarro, Renoir, Degas und Monet besuchte Vollard Cezanne in Aix. In einem Baum entdeckte er ein Stilleben, das Cezanne frustriert weggeworfen hatte. Er durchkämmte den Ort und ließ verbreiten, dass er Bilder von Cezanne aufkaufte. In seiner Cezanne-Biografie Lost Earth beschreibt Philip Callow, was dann passierte:
Es dauerte nicht lange, und jemand wurde mit einem in Stoff gewickelten Bild im Hotel vorstellig. Er erhielt 150 Franc, woraufhin er den Händler mit zu sich nach Hause nahm, um ihm einige weitere Gemälde zu zeigen. Vollard kaufte sie für 1 000 Franc. Auf dem Weg nach draußen traf ihn fast ein Gemälde am Kopf, das die beiden übersehen hatten und das ihm die Frau des Mannes aus dem Fenster hinterher warf. Die Bilder waren verstaubt, denn sie hatten auf dem Dachboden unter einem Haufen Gerümpel gelegen.
Das war, bevor Vollard Cezanne 150 Mal von acht bis halb zwölf Modell saß - für ein Porträt, das Cezanne schließlich frustriert verwarf. Einmal, so schrieb Vollard in seinen Memoiren, sei er eingenickt und von dem improvisierten Podest gefallen. Cezanne zürnte: »Ein Apfel bewegt sich doch auch nicht!« Das ist wahre Freundschaft.
Schließlich war da noch Cezannes Vater, der Bankier Louis-Auguste. Seit dem Tag, an dem Cezanne im Alter von 22 Jahren zum ersten Mal von Aix nach Paris ging, übernahm Louis-Auguste seine Rechnungen, auch wenn Cezanne allem Anschein nach nicht mehr als ein gescheiterter Dilettant war. Ohne Zola wäre Cezanne für immer ein unglücklicher Bankierssohn aus der Provence geblieben; ohne Pissarro hätte er nie das Malen gelernt; ohne Vollard (und die Unterstützung von Pissarro, Renoir, Degas und Monet) wären seine Bilder auf einem Dachboden verschimmelt, und ohne seinen Vater hätte Cezanne seine lange Lehrzeit nie finanzieren können. Die ersten drei - Zola, Pissarro und Vollard - wären auch berühmt geworden, wenn es Cezanne nie gegeben hätte, und der vierte war ein ungewöhnlich begabter Unternehmer, der Cezanne bei seinem Tod 400 000 Franc hinterließ. Cezanne hatte nicht einfach nur Unterstützer, er hatte eine Traummannschaft auf seiner Seite.
Das ist schließlich die letzte Lektion der Spätzünder: Ihr Erfolg hängt vom Einsatz anderer ab. Die Biografen Cezannes zeichnen Louis-Auguste gern als griesgrämigen Kunstbanausen, der das Genie seines Sohnes verkannte. Doch niemand zwang Louis-Auguste, seinen Sprössling Zeit seines Lebens zu unterstützen. Er hätte mit vollem Recht von ihm verlangen können, sich eine vernünftige Arbeit zu suchen. Genauso hätte Sharie Nein zu den vielen Haiti-Reisen ihres Mannes sagen können. Sie hätte argumentieren können, dass sie Anspruch auf einen standesgemäßen Lebensstil hatte und statt eines Honda Accord einen BMW fahren wollte.
Doch sie glaubte an die Kunst ihres Mannes, oder zumindest an ihren Mann, genau wie Zola, Pissarro, Vollard und der mürrische Louis-Auguste an Cezanne glaubten. Die Geschichten von Spätzündern sind unweigerlich Liebesgeschichten, und das könnte auch der Grund sein, warum wir uns mit ihnen so schwer tun. Wir glauben gern, dass ein Genie etwas Überirdisches sein muss, das mit so alltäglichen Dingen wie Loyalität, Beharrlichkeit und monatlichen Überweisungen nichts zu tun haben kann. Doch oft ist Genie alles andere als überirdisch, sondern das Produkt von zwanzig Jahren Arbeit am Küchentisch.
»Sharie hat nie über Geld gesprochen, nicht ein einziges Mal«, sagt Fountain. Sie sitzt neben ihm, und an seinem Blick lässt sich ablesen, dass er
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