Was der Hund sah
weiß, wie viel von Brief Encounters er ihr zu verdanken hat. Ihm kommen die Tränen. »Sie hat mir nie Druck gemacht«, sagt er. »Nicht mal versteckt, nicht mal andeutungsweise.«
20. Oktober 2008
Vielleicht die beste Wahl
Wen sollen wir einstellen, wenn wir nicht wissen, wer geeignet ist?
1.
Am Tag des großen Football-Spiels zwischen den Tigers von der University of Missouri und den Cowboys von der Oklahoma State University saß Spielerscout Dan Shonka mit einem tragbaren DVD-Spieler in seinem Hotelzimmer in Columbia, Missouri. Shonka hatte für drei Mannschaften der National Football League als Scout gearbeitet. Davor war er Trainer gewesen und davor Verteidiger. Doch damals hatte er drei Knieoperationen und fünfzig Kilo weniger gehabt. Heute bewertet er Jahr für Jahr zwischen 800 und 1 200 Spieler im ganzen Land und hilft Profimannschaften bei der Auswahl von Collegespielern. In den letzten dreißig Jahren hat er vermutlich mehr Football-Spiele gesehen als irgendjemand sonst. Auf seinem DVD-Spieler hatte er seine Vorbereitung für das Match dieses Abends, einen Zusammenschnitt der letzten Partie der Tigers gegen die Cornhuskers der University of Nebraska.
Shonka arbeitete sich methodisch durch das Video und sah sich interessante Passagen mehrmals an. Er hat ein Auge auf Jeremy Maclin und Chase Coffmann, zwei Receiver der Tigers. Vor allem aber interessierte er sich für den Star der Mannschaft, einen kräftigen, muskulösen Quarterback namens Chase Daniel.
»Es gefällt mir, wenn ein Quarterback auf einen Verteidiger aufläuft und vor dem Wurf nicht abbremst«, erklärte Shonka. Neben ihm lag ein Stapel von Karteikarten, und beim Zuschauen notierte und bewertete er jeden von Daniels Pässen. »Und Urteilsfähigkeit. Wenn das nicht stimmt, vergiss es. Und wenn die Verteidiger auf ihn zurennen, läuft er dann mittenrein, wirft und lässt sich umreißen? Wirft er nur, wenn er gedeckt ist, oder auch aus dem Lauf? Er muss ein Kämpfer sein. Ausdauernd. Ist er stark und zäh genug? Ist er ein Spielgestalter? Kann er eine Mannschaft auch im letzten Viertel noch nach vorn führen und Punkte machen? Hat er die Übersicht? Wenn die eigene Mannschaft vorn liegt, ist das nicht schwer. Aber ich will sehen, was er macht, wenn sie eine Abreibung kassieren.«
Er zeigte auf den Bildschirm. Daniel hatte einen Pass geworfen und war im nächsten Moment von einem Verteidiger umgerannt worden. »Sehen Sie das? Mitten im Ansturm stellt er sich hin und spielt den Pass. Der Junge hat Mumm.« Daniel war 1,83 Meter groß und wog 102 Kilo. Er bewegte sich mit einem an Arroganz grenzenden Selbstbewusstsein, warf schnell und rhythmisch und wich den Verteidigern leichtfüßig aus. Seine kurzen Pässe waren gefühlvoll, seine weiten Flanken präzise. In diesem Spiel brachte er erstaunliche 78 Prozent seiner Pässe an den Mann und bescherte Nebraska die schlimmste Heimniederlage in 53 Jahren. »Der bringt’s«, meinte Shonka. Er hatte die besten College Quarterbacks gesehen und ihre Würfe notiert und bewertet. Für ihn war Daniel ein ganz besonderer Spieler: »Das ist vielleicht einer der besten Quarterbacks im ganzen Land.«
Doch dann erzählte Shonka von seiner Zeit als Scout bei den Philadelphia Eagles. Im Jahr 1999 wurden fünf College-Quarterbacks von Profimannschaften verpflichtet, und jeder Einzelne hatte das Potenzial von Chase Daniel. Nur einer, Donovan McNabb, hielt annähernd, was er versprach. Von den Übrigen vier versank einer nach einem guten Start im Mittelmaß, zwei gingen sang- und klanglos unter, und der Letzte spielte so miserabel, dass er nach seinem Untergang in der NFL auch in der kanadischen Profiliga versagte.
Ein Jahr zuvor hatte Ryan Leaf, der Chase Daniel des Jahres 1998, dasselbe Schicksal erlitten. Die San Diego Chargers hatten ihn für 11 Millionen Dollar verpflichtet, doch er erwies sich als Totalausfall. Im Jahr 2002 war Joey Harrington an der Reihe. Harrington war der Goldjunge der University of Oregon, und Shonka versteht noch immer nicht, was mit ihm passierte.
»Ich habe ihn live gesehen«, erzählte er. »Der Junge hat Laser geworfen, er hat unter Druck die besten Pässe gespielt. Er war stark, groß und intelligent.« Shonka wurde so sentimental, wie man es als 130-Kilo-Mann und ehemaliger Verteidiger im schwarzen Trainingsanzug werden kann. »Er hat gespielt wie ein Konzertpianist. Er hat mir gefallen, er hat mir richtig gut gefallen.« Harringtons Karriere war nach einem kurzen Gastspiel
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