Was der Hund sah
anrufen würde. Aber war diese Verallgemeinerung zulässig?
Mit dieser Fragen haben sich Sozialpsychologen genauer beschäftigt. Ende der zwanziger Jahre untersuchte Theodore Newcomb in einer berühmten Studie die Extroversion von Jungen in einem Ferienlager. Dabei stellte er fest, dass die Gesprächigkeit eines Jungen in einer bestimmten Situation, beispielsweise beim Mittagessen, darauf schließen ließ, wie gesprächig er bei späteren Gelegenheiten in derselben Situation war. Ein Junge, der am Montag beim Essen neugierig war, war mit großer Wahrscheinlichkeit auch am Dienstag beim Essen neugierig. Doch das Verhalten in einer Situation ließ keinerlei Schlüsse auf das Verhalten in einer anderen Situation zu. Vom Verhalten beim Mittagessen konnte man beispielsweise keine Rückschlüsse auf das Verhalten bei den Freizeitaktivitäten schließen. In einer neueren Untersuchung zur Sorgfalt unter Studierenden des Carleton College zeigten die Wissenschaftler Walter Mischel, Neil Lutsky und Philip K. Peake, dass Dinge wie die Ordentlichkeit der Hausaufgaben oder die Pünktlichkeit keinerlei Schlüsse darüber zuließen, wie oft Studierende fehlten, wie häufig sie ihre Zimmer aufräumten oder wie gepflegt ihr Äußeres war. Unser Verhalten in einer beliebigen Situation hat offenbar weniger mit einer Art innerem Kompass zu tun als mit den Besonderheiten der jeweiligen Situation.
Diese Schlussfolgerung steht im Widerspruch zu unseren intuitiven Annahmen. Wir gehen meist davon aus, dass Menschen in unterschiedlichen Situationen dieselben Charaktereigenschaften unter Beweis stellen. In der Regel unterschätzen wir die Auswirkungen des Kontextes auf das Verhalten eines Menschen. In Newcombs Experiment wurden beispielsweise sämtliche Verhaltensweisen - die Gesprächigkeit, Neugierde oder Geselligkeit der Kinder in unterschiedlichen Situationen - von den Betreuern im jeweiligen Moment aufgezeichnet. Sie mussten bemerken, dass sich das Verhalten der Kinder von einer Situation zur anderen unterschied, doch als sie am Ende des Ferienlagers ihren Eindruck der einzelnen Kinder wiedergeben sollten, war deren Verhalten in ihrer Erinnerung konsistent.
»Der Grund dieser Illusion ist unsere Zuversicht, dass wir die Wahrheit sehen und den Charakter eines Menschen erkennen können«, meint Richard Nisbett, Psychologe an der University of Michigan. »Wenn wir uns eine Stunde lang mit jemandem unterhalten, dann gehen wir nicht davon aus, dass wir nur einen kleinen, subjektiven Ausschnitt sehen. Wir denken, wir sehen den ganzen Menschen, vielleicht ein wenig verschwommen, aber ganz.«
Nisbett verwies auf seinen Kollegen Lee Ross, der in Stanford Psychologie lehrt. »In einem Semester unterrichtet er Statistik, im nächsten einen Kurs über humanistische Psychologie. Dann bekommt er seine Bewertungen. Die Studierenden aus dem Statistikkurs beschreiben ihn als kalt, steif, abweisend, pingelig und engstirnig. Die aus dem zweiten Kurs beschreiben ihn als wundervollen und warmherzigen Menschen, der sich um die Gemeinschaft und die Entwicklung der Einzelnen kümmerte. Es war wie Jekyll und Hyde. In beiden Kursen waren die Studierenden überzeugt, dass sie den wahren Lee Ross sehen.«
Psychologen beschreiben diese Neigung, sich auf scheinbar feste Charaktereigenschaften zu konzentrieren und den Kontext zu übersehen, als Zuschreibungsfehler. Wenn wir diesen Fehler zu dem addieren, was wir über den ersten Eindruck wissen, dann wird deutlich, warum das Vorstellungsgespräch eine problematische Angelegenheit ist. Ich hatte nicht nur zugelassen, dass mein erster Eindruck sämtliche Informationen färbte, die ich von Myers erhielt, sondern ich war obendrein davon ausgegangen, dass sein Verhalten in unserem Gespräch etwas darüber aussagte, wie er sich immer verhielt. Das heißt nicht, dass das Vorstellungsgespräch nutzlos ist. Was ich über Myers erfuhr - beispielsweise, dass wir gut miteinander auskamen -, kann ich keinem Lebenslauf und keinem Zeugnis entnehmen. Aber uns Gespräch war weniger nützlich und vor allem potenziell irreführender, als ich angenommen hatte. Das fundamentalste aller menschlichen Rituale, das Gespräch mit einem Fremden, erweist sich als ein Minenfeld.
4.
Kurz nach meiner Begegnung mit Nolan Myers unterhielt ich mich mit Justin Menkes, einem Personalberater aus Pasadena. Menkes entwickelt Methoden zur Optimierung von Vorstellungsgesprächen und führte mir vor, wie ein solches Gespräch seiner Ansicht nach aussehen
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