Was der Nachtwind verspricht
solche Dinge nicht wichtig sind. Du hättest sie genauso gut in den Stall schicken können, dort hätte es ihr auch gefallen.«
»Das ist doch geradezu lächerlich«, belehrte ihn Maria. »Warum ist sie denn eigentlich so merkwürdig gekleidet? Hat sie ihre Kleider verloren?«
Er zuckte mit den Schultern. »Sie hat eine Unmenge von Reisekoffern mitgeschleppt, aber auch wenn sich ein Kleid darin befinden sollte, würde ich es nicht wissen. Ich habe sie bis jetzt nur in dem Aufzug, indem du sie gesehen hast, zu Gesicht bekommen.«
Maria runzelte die Stirn, um ihm deutlich zu zeigen, wie verärgert sie über ihn war. »Du scheinst entschlossen zu sein, mich auch weiterhin zu foppen. Also wirklich, Wassili, ich finde das nicht im geringsten amüsant.«
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich darüber bin, Mutter. Ich kann dir sogar garantieren, dass du heute Abend rein gar nichts amüsant finden wirst.«
»Was soll das denn nun schon wieder heißen?«
»Damit meint er wahrscheinlich mich, Madame«, sagte Alexandra, die in der Tür stand. »Da er es mit mir nicht aushalten kann, geht er davon aus, dass Ihr das auch nicht könnt.«
»Mein liebes Kind, wie kommt Ihr denn auf solche ... Gedanken?«
Wassili konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Seine Mutter hatte deshalb gezögert, weil ihr erst nach einigen Augenblicken aufgefallen war, dass Alexandra immer noch die Kleider trug, in denen sie angekommen war. Ihren Rock und die Mütze hatte sie abgelegt. Wenn er den scharfen Blick richtig interpretierte, den ihm seine Mutter zuwarf, muss te Maria wohl gerade daran denken, dass er ihr erzählt hatte, er habe sie noch nie in einem Kleid gesehen.
Alexandra ignorierte den Blickwechsel zwischen Mutter und Sohn und beantwortete Marias Frage. »Wenn Ihr mir nicht glaubt, Madame, braucht Ihr ihn nur zu fragen. Er verachtet mich.«
Wassili hätte wissen müssen, dass dieser Abend genauso verlaufen würde, wie er sich das erhofft hatte. Alexandras Direktheit würde seine Mutter schockieren, aber dafür würde er seinen Teil abbekommen.
Maria war wieder pikiert. »Wassili, sag ihr, dass das nicht wahr ist.«
Er tat ihr den Gefallen. Er lächelte sogar dabei. »Natürlich ist es nicht wahr. Was immer ich auch für dich empfinde, Alex, ich könnte dich niemals verabscheuen. Das ist ein recht kaltes Gefühl, und meine Gefühle für dich sind sehr viel ... wärmer.«
Sie ignorierte seine Anspielung auf Leidenschaft vollkommen und provozierte ihn mit den Worten: »Wir werden also deiner Mutter zuliebe ein bisschen lügen?«
»Ich verachte dich nicht, verdammt noch mal!«
»Wassili!« ermahnte ihn Maria.
Er seufzte. Wenn er so schnell die Beherrschung verlor, würde er den Abend nie überstehen. Alexandra wollte mit ihrem süffisanten Grinsen nur erreichen, dass er erneut wütend wurde. Diese kleine Hexe. Sie brachte ihn mit voller Absicht in Verlegenheit.
»Verzeih mir, Mutter. Warum sehen wir dieses Thema nicht einfach als beendet an und begeben uns zu Tisch?«
Hastig pflichtete ihm Maria bei. »Ein ausgezeichneter Vorschlag, allerdings ... Alexandra, wollt Ihr Euch denn nicht vorher umziehen?«
Wassili hatte noch nie jemanden mit einer solchen Unschuldsmiene gesehen wie Alexandra, die mit großen Augen erwiderte: »Was umziehen?«
Seine Mutter ging auf ihre Frage ein. »Eure Kleider, meine Liebe. Wir ziehen uns zum Essen immer an.«
Alexandra blickte an sich herunter. »Aber ich bin doch angezogen.«
»Nein, ich meine ...«
»Gib es auf, Mutter«, unterbrach Wassili sie. »Ich glaube nicht, dass sie überhaupt ein Kleid besitzt.«
»Aber natürlich habe ich ein Kleid«, sagte Alexandra. »Was glaubst du wohl, was in all den Reisekoffern war, die wir hierhergeschleppt haben?«
»Peitschen und Dolche«, sagte er mit unbewegtem Gesicht.
Sie lachte. Ihr Lachen war echt, und das überraschte Wassili. Es wärmte ihn und zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. Maria fand es ganz und gar nicht amüsant.
Mit strenger Miene sagte sie: »Wir werden morgen über das Thema Kleidung weiterreden, Alexandra. Wassili, würdest du uns bitte ins Esszimmer führen?«
Das tat er dann auch, aber er fragte sich, ob er seine Mutter nicht vielleicht vor Alexandras Tischmanieren hätte warnen müssen. Wenn Maria so schockiert war, dass sie die Beherrschung verlor und Alexandra irgendwie beleidigte, war nicht vorauszusehen, wie sie reagieren würde.
Wie sich herausstellte, hätte er sich deswegen keine Gedanken machen
Weitere Kostenlose Bücher