Was der Nachtwind verspricht
einen etwas merkwürdigen Humor und versicherte ihr, dass die Engländer ihr zu Füßen liegen würden. Die Anwesenheit von Lady Beatrice bewirkte auch, dass Alexandra sich keine Vorwürfe von Nina und deren Brüdern mehr anhören muss te, die ihr wegen ihrer Entscheidung, Christopher zu suchen, heftig zugesetzt hatten. Alexandra hatte die Einwände ihrer Freunde einfach ignoriert.
Beatrice konnte sich nicht daran erinnern, Christopher in Russland begegnet zu sein, und sie kannte ihn auch nicht persönlich. Aber sie versicherte Alexandra, dass Freunde von ihr ihn bestimmt kannten. Und tatsächlich: Als sie schließlich in London eingetroffen waren, brauchte sie nur zwei Tage, um seine Adresse herauszufinden. Sie brachte sie Alexandra in ihr Hotel.
Alexandra hatte sich direkt an die Botschaft gewandt, da dies die einzige Adresse war, die Christopher auf seinen Briefen aus England als Absender angegeben hatte. Dort jedoch hatte sie nichts erfahren. Er sei gerade mit einer anderen Aufgabe betraut, war alles, was sie aus dem hochnäsigen Beamten herausbekommen konnte, mit dem sie gesprochen hatte, und nein, die Botschaft gebe keine privaten Informationen über ihre Diplomaten heraus. Sie solle es woanders versuchen.
Dank Lady Beatrice muss te sie sich nun nicht mit weiteren unhöflichen Beamten herumschlagen. Früher als erwartet war sie jetzt unterwegs zum Haus von Christophers Tante, wo er wohnte. Es war glücklicherweise direkt in London.
Nina hatte ihr geraten, mit ihrem Besuch bis zum nächsten Morgen zu warten, da es bereits dämmerte, als sie fertig zum Gehen war, aber Alexandra konnte es sich nicht leisten zu warten. Bevor sie den Kontinent verlassen und das Schiff nach England genommen hatten - die Überfahrt war ein einziger Alptraum für sie geworden, da ihr andauernd schlecht gewesen war -, hatte sie bereits gewusst , dass sie ein Baby von Wassili erwartete. Und dieses Baby brauchte einen Vater. Sie würde es Christopher natürlich sagen. Und obwohl dies die Dinge etwas komplizieren konnte, bedauerte sie ihren Zustand nicht einen einzigen Moment lang. Sie war sogar völlig begeistert davon.
Das Stadthaus seiner Tante war strahlend hell erleuchtet, und die zahlreichen Kutschen, die ihre festlich gekleideten Insassen vor dem Eingang absetzten, deuteten darauf hin, dass wohl gerade eine Gesellschaft stattfand. Alexandra hatte einige Tage Zeit zum Einkaufen gehabt, während sie auf ihr Schiff gewartet hatten, drei bereits halb fertige Kleider gefunden und den wenigen Kleidern in ihrer Reisetasche hinzugefügt. Nina hatte sie dann später fertiggenäht, denn Alexandras Nähkünste waren fürchterlich. Eines davon war ein hübsches Abendkleid aus Seide in Rosa und Dunkelblau. Sie hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass sie es heute Abend brauchen würde. In ihrem grünen Wollkleid wollte man sie zuerst auch gar nicht hineinlassen, trotz des Zobelbesatzes an ihrem Mantel.
Ihr Kleid war für einen Besuch geeignet, aber nicht für den Ball, den die Leightons gerade gaben. Daher ließ man sie nicht zu den anderen Gästen, sondern führte sie in ein leeres Zimmer - anscheinend eine Bibliothek -, wo sie warten sollte.
Sie wartete. Nach einer Stunde wartete sie immer noch. Aber es machte ihr nichts aus. Jetzt, da sie nach so vielen Jahren Christopher endlich wiedersehen würde, war sie nicht ungeduldig. Eigentlich fühlte sie gar nichts, keine Nervosität, nichts. Sie war nicht einmal aufgeregt.
Sie fand das ziemlich merkwürdig, schrieb es aber den starken Depressionen zu, an denen sie seit ihrer Abreise aus Kardinien litt, und diese wiederum schrieb sie der Tatsache zu, dass sie ihre Pferde zurückgelassen hatte. Wassili hatte rein gar nichts damit zu tun, denn ihn vermisste sie überhaupt nicht. Sie dachte inzwischen nur noch ein Dutzendmal pro Tag an ihn. Aber angesichts der Hoffnungslosigkeit, von der sie in Kardinien überfallen worden war, und der Melancholie, die sie jetzt empfand, war es wohl kein Wunder, dass sie keine Gefühlsregung mehr spürte.
Lady Beatrice hatte Alexandra mit ihrer unerschütterlich guten Laune etwas aufgemuntert, und der Gedanke an ihr Baby half ihr auch. Aber sonst gab es nichts, worüber sie sich freuen konnte. Die Tatsache, dass sie in wenigen Augenblicken Christopher wiedersehen würde, hätte sie doch froh stimmen müssen. Warum war sie es dann nicht?
»Alexandra, bist du das wirklich?«
Sie hatte nicht gehört, dass die Tür hinter ihr geöffnet und wieder geschlossen
Weitere Kostenlose Bücher