Was der Winter verschwieg (German Edition)
Hause bleiben. Aber wie sehr er es hasste, die Zeremonie ertragen zu müssen.
Manchmal zwangen sie ihn sogar, mitzumachen. Als er noch sehr klein gewesen war, hatte er zweimal den Ringträger spielen müssen. Mit vier fand er das noch cool, bis er erkannte, dass man von ihm verlangte, sich fein anzuziehen, sich nicht schmutzig zu machen und während einer Zeremonie, die einfach kein Ende nehmen wollte, still zu sitzen.
Mit zwölf war er zu alt für eine solche Demütigung, doch seine Familie schaffte es problemlos, eine neue zu finden. Auf der Hochzeit seiner Cousine Olivia mit Connor Davis, die im vergangenen Sommer im Camp Kioga am Willow Lake stattgefunden hatte, war er zum Platzanweiser befördert worden. Da hatte er erkannt, dass alle Hochzeiten irgendwie gleich waren. Das gleiche Unbehagen in gestärkten Hemden und drückenden Schuhen, die gleiche monotone Zeremonie mit kitschigen Liedern. Lediglich das Paar am Altar war ein anderes.
Seiner Meinung nach waren Hochzeiten lang und langweilig, alle sprachen nur über Liebe und Versprechen und so’n Kram, was in seinen Augen totaler Blödsinn war.
An diesem Tag hatte sein Unbehagen jedoch andere Gründe. Da die Trauung direkt am Meer stattfinden würde, trugen alle Strandsachen. In Max’ Augen sahen sie aus wie eine Gruppe Hawaiianer auf Urlaub, aber wenigstens war es wesentlich bequemer als Smoking und enge Schuhe. Was allerdings nicht hieß, dass er Spaß an der Hochzeit hatte.
Wie sollte er auch, wenn der Bräutigam sein Vater war?
Okay, Max mochte Nina Romano. Sehr sogar. Sie würde eine gute Stiefmutter sein. Er wollte, dass sie seinen Dad heiratete und die beiden ein Ehepaar waren. Aber er wollte nicht diese elendig langen Gelübde und Gelöbnisse ertragen müssen. Er wollte nicht hören, dass sein Vater „Ich schenke dir mein Herz“ zu
irgendjemandem
sagte.
So etwas machte ihn ganz kribbelig. Er wünschte, sie hätten sich davongestohlen und heimlich geheiratet, anstatt ihre Familien mit hineinzuziehen. Es waren ungefähr eine Trilliarde Romanos dabei. Nina hatte acht Geschwister, und die meisten von ihnen hatten Kinder, sodass es zusammen mit den Bellamys eine ganz schön große Veranstaltung geworden war.
Fröhliche italienischstämmige Amerikaner waren die ganze Woche auf ihn zugekommen, hatten ihm auf den Rücken geklopft und sich verhalten, als wären sie seine besten Freunde. Dabei waren das alles Fremde für ihn. Zwei von ihnen – die am Ende des Tages seine Stiefcousins wären – waren in seiner Jahrgangsstufe auf der Avalon Middle School. Angelica Romano war in seiner Algebraklasse und Ricky Pastorini in seinem Eishockeyteam. Rickys Mom war Ninas Schwester Maria. Sie war die Teammutter. Obwohl Ricky in Max’ Alter war, musste er sich schon rasieren und hatte den Stimmbruch bereits hinter sich. Na und? dachte Max.
Er versuchte, nicht angewidert mit den Zähnen zu knirschen, als ein weiteres lahmes „Liebe über zwei Herzen im Gleichtakt“ gesungen wurde, das den meisten Frauen die Tränen in die Augen trieb. Das war ihm einfach alles viel zu süß. Er würde noch einen Zuckerschock bekommen und ins Koma fallen, wenn das hier nicht bald ein Ende hätte.
Rastlos ließ er den Blick über die Hochzeitsgäste am Strand gleiten. Alle saßen auf weißen Klappstühlen, die Füße in Flipflops, mit denen sie im weißen Sand spielten. Verstohlen steckte Max seine Hand in die Tasche seiner Cargoshorts. Er zog sein Handy halb heraus und schaute auf das Display. Seine Mom hatte ihm nicht zurückgeschrieben, nachdem er ihr kurz zuvor das Foto geschickt hatte. Er hatte versucht, der Sache eine leichte Note zu verleihen, weil seine Mutter dazu neigte, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung, selbst wenn man die Hochzeit seines eigenen Vaters durchleiden musste. In seiner Nachricht hatte Max geschrieben, dass St. Croix fabelhaft war.
Das Gleiche konnte er von der heutigen Zeremonie nicht behaupten. Es schien allerdings, als wenn alle außer ihm wirklich mit vollem Herzen dabei waren. Er steckte das Handy wieder weg und ertrug eine weitere Lesung. Dann endlich neigte die Zeremonie sich dem Ende zu. Einen winzigen Augenblick lang – kaum die Länge eines Wimpernschlags – sah Max’ Daddy so glücklich aus, dass Max sich dabei ertappte, ebenfalls zu lächeln.
Während des Kusses starrte er auf den Boden –
was zu viel ist, ist zu viel
– und endlich war es vorbei. Zu den Klängen einer Reggae-Version von „What a Wonderful World“ kamen
Weitere Kostenlose Bücher