Was der Winter verschwieg (German Edition)
„mit mir geschlafen“ schienen seine Fantasie anzuregen, denn er musterte sie wieder mit dieser unbarmherzigen, jugendlichen Intensität. Sie fühlte sich verletzlich und gleichzeitig seltsam kühn. Während der Scheidung und in der darauffolgenden Zeit hatte sie sich einen undurchdringlichen Panzer zugelegt – einen Panzer, der nun unter der Glut dieses unwiderstehlichen Mannes dahinzuschmelzen schien. Es gab nur wenig Positives, wenn man neununddreißig war und hart auf die vierzig zuging. Aber von einem Mann so angeschaut zu werden, wie Noah Shepherd sie gerade anschaute, tat ihrem Selbstbewusstsein ungeheuer gut.
Trotzdem …
Sie richtete die Stola noch einmal und räusperte sich. Sollte sie die Stiefel und das Negligé erklären oder ihn denken lassen, was er wollte? „Danke für letzte Nacht“, sagte sie und erkannte erst zu spät die Doppeldeutigkeit ihrer Worte.
„War mir ein Vergnügen.“ Seine Stimme war verführerisch rau; kein Zweifel, ihm war die Doppeldeutigkeit sofort aufgefallen.
Sie spürte, wie ihre Wangen sich röteten, und fühlte sich mit einem Mal sehr befangen. „Wie auch immer. Ich zieh mich schnell an, und dann sind Sie mich auch schon los.“
Sein Lächeln war süß und gleichzeitig sexy, wodurch sie sich jung und dumm vorkam. „Ich will Sie gar nicht loswerden.“
„Tja, nun, ich habe noch Sachen zu erledigen …“
Er warf einen Blick aus dem Fenster, wo die endlosen Schneeflächen das Sonnenlicht reflektierten. „Was für Sachen?“
Er hatte keine Ahnung, was für eine schwierige Frage das war.
Mein Leben neu ordnen. Eine Beziehung zu meinen Kindern aufbauen. Einen neuen Blick auf die Welt finden. Die Fehler wiedergutmachen, die ich in der Vergangenheit begangen habe.
Und das war erst der Anfang.
Er musterte sie mit einer Eindringlichkeit, die sie beinahe dazu gebracht hätte, ihm alles zu erzählen. Aber nein. Sie war immer noch dabei, die Dinge für sich auf die Reihe zu bekommen, und im Moment fühlte sich ihr Plan sehr fragil an, als müsste er vor den skeptischen Bemerkungen anderer geschützt werden. Ihre Kollegen am Internationalen Strafgerichtshof hielten sie bereits für verrückt. Sie musste sich nicht auch noch den Zweifeln eines Fremden aussetzen.
„Nun, für den Anfang muss ich meinen Sohn und meine Tochter anrufen und sie wissen lassen, dass ich angekommen bin.“
Er nickte in Richtung des Telefons, das in der Frühstücksecke an der Wand hing. „Bedienen Sie sich. Aber ich sollte Sie warnen: Die Straßen sind noch nicht geräumt worden. Wir haben hier das, was wir als Seeeffektschnee bezeichnen, und es ist noch nicht vorbei. Die Schulbehörden haben schneefrei gegeben, und die meisten Straßen – inklusive dieser hier – sind für alle Fahrzeuge außer Rettungswagen gesperrt. Ich an Ihrer Stelle würde also nicht darauf hoffen, irgendwohin zu kommen.“
„Ich schätze, gegen das Wetter kann ich nichts tun.“ Sie wurde von einer leichten Unruhe erfasst. Max und Daisy wussten, dass sie kommen wollte, aber sie rechneten mit einem Besuch, nicht damit, dass sie für immer blieb. Sie hatte keine Ahnung, wie die beiden darauf reagieren würden. Tatsache war, sie hatte sich noch nicht ganz zu Ende überlegt, was sie sagen wollte, wie sie ihre Anwesenheit in Avalon erklären sollte. Das hier war das Zuhause der Bellamys, der Familie ihres Exmannes. Sie waren tief verwurzelt mit dieser Region, während Sophie als Außenseiterin angesehen wurde, als Eindringling. Mit einem Mal fühlte sie sich sehr einsam.
„Erst mal will ich mich ein wenig sammeln und organisieren“, sagte sie, plötzlich etwas feige.
„Okay.“ Ihm schien das nichts auszumachen. „Wie geht es dem Knie? Ich sollte es mir vielleicht noch einmal ansehen.“
Haben Sie das nicht schon? fragte sie sich ironisch. „Nein, das geht schon. Alles in Ordnung. Ich habe zwar noch keinen Blick unter den Verband geworfen, aber es tut nicht weh und juckt nicht, also alles gut.“
„Sie sollten noch ein Antibiotikum nehmen.“
„Noch eine Rottweilerpille?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Sicher, warum nicht? Hat das Zeit, bis ich mich angezogen habe?“
„Es reizt mich, Nein zu sagen, aber das liegt nur an Ihrem Nachthemd.“ Er grinste, und anstatt empört zu sein, ertappte Sophie sich dabei, sein Lächeln zu erwidern. „Jetzt mal im Ernst“, fuhr er fort. „Sie sollten erst etwas essen, damit Ihr Magen das Antibiotikum besser verträgt.“
Sie nickte. „Es tut mir leid, dass ich
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