Was Die Liebe Naehrt
ausgeklammert. Es braucht ein Feingefühl für die Erfahrungen und Sehnsüchte des anderen, damit wir über
das sprechen können, was uns in der Tiefe unserer Seele bewegt, was uns beunruhigt, wonach wir uns sehnen und was uns eigentlich trägt.
Friedrich Hölderlin hat ein wunderbares Gedicht geschrieben, in dem er uns auch eine spirituelle Perspektive für die Kommunikation in der Ehe
aufzeigt:
»Viel hat erfahren der Mensch.
Der Himmlischen viele genannt,
Seit ein Gespräch wir sind
Und hören können voneinander.«
Hölderlin spricht nicht davon, dass wir ein Gespräch im Sinne des aktuellen Miteinanderredens führen, sondern dass wir ein Gespräch sind . Wenn wir ein Gespräch sind, dann erfahren wir viel über das Geheimnis des Menschen und über das Geheimnis der Himmlischen, über das
Geheimnis Gottes. Dann geht uns etwas auf von der Wahrheit des Menschen und von der Wahrheit Gottes. Doch die Voraussetzung dafür, dass wir zum Gespräch
werden, ist, dass wir nicht nur aufeinander hören, sondern voneinander hören. Ich höre vom anderen, was er zu sagen hat. Ich nehme mir von ihm etwas. Für
Hölderlin ist es eine Kunst, voneinander hören zu können. »Von« drückt immer die Herkunft aus. Im Hören voneinander haben wir teil an der Herkunft des
anderen, an seiner Geschichte, an dem, was er an Erfahrungen gemacht hat.
Gespräch kommt von sprechen. Das deutsche Wort sprechen meint mehr als »Worte sagen«. Sagen kommt von zeigen. Wenn ich einem etwas
sage, zeige ich ihm etwas, auf das er schauen soll. Wenn ich zu ihm spreche, dann teile ich ihm meine eigene Gestimmtheit mit. Denn sprechen hat mit
»bersten« zu tun. Es bricht etwas aus mir hervor. Meine Emotionen treten in meiner Stimme hervor. Die Vorsilbe »Ge-« bei Gespräch meint, dass wir
gemeinsam sprechen, dass im Sprechen eine Vereinigung geschieht. Das Gespräch führt die Sprechenden zusammen. Es verbindet sie miteinander. Und die
Vorsilbe »Ge« bezeichnet das Ergebnis eines Geschehens. »Wir sind ein Gespräch« bedeutet also einmal, dass wir eine neue Qualität des Miteinanders
erfahren, dass wir innerlich zusammengewachsen sind. Und es bedeutet, dass wir das Geschenk des Gesprächs erfahren haben. Wir sind Hörende und Sprechende
geworden, Menschen, die im Gespräch eine innere Verbindung erfahren, die auch nach dem Gespräch noch anhält. »Wir sind ein Gespräch«, das heißt: Uns
verbindet eine Gemeinschaft, in der einer sich dem anderen öffnet, in der wir uns in der Tiefe unseres Herzens zusammengehörig fühlen. Wir haben uns
füreinander aufgebrochen und erleben darin die Offenheit für den anderen und für Gott, der uns im Grund unserer Seele miteinander verbindet.
Hans-Georg Gadamer, der philosophische Meister einer Kunst der Auslegung, meinte einmal, wir würden kein Gespräch »führen«, sondern in ein Gespräch
hineingeraten. Vor dem Gespräch wissen wir nicht, was dabei herauskommt. Doch, wenn es ein echtes Gespräch ist, dann verwandeltes
uns. Keiner geht in das Gespräch mit dem Bewusstsein, dass er die Wahrheit hat und dass er den anderen von der Wahrheit überzeugen muss. Vielmehr
geschieht die Wahrheit im Gespräch. Auf einmal wird allen Gesprächspartnern etwas klarer: Die Wahrheit offenbart sich.
Im Gespräch geht es um Verständigung. Ich versuche zu verstehen, was der andere in seiner Sprache ausdrückt. Ich frage nach der Erfahrung, die hinter
seinen Worten steht. Und ich versuche, mich in diese Erfahrung hineinzuversetzen und sie zu verstehen. Zugleich frage ich mich, ob ich ähnliche
Erfahrungen gemacht habe und wie ich diese Erfahrungen mit meinen Worten ausdrücken würde. So geht es im echten Gespräch nie um das Rechthaben, sondern um
ein Sich-Verständigen auf die Sache, die hinter den Erfahrungen steht. Diese Sache ist aber nicht etwas, das man in die Hand nehmen kann. Es ist vielmehr
ein Geheimnis, das uns übersteigt. Wenn wir diese Einsichten des Dichters Friedrich Hölderlin und des Philosophen Hans-Georg Gadamer auf das Gespräch in
einer Paarbeziehung anwenden, dann heißt es: Es braucht die Achtsamkeit im Hören auf den anderen, damit wir von ihm hören, damit wir im Hören von ihm
erfahren, was ihn bewegt. Nur dann haben wir im Hören teil an seiner Geschichte. Und es braucht die Achtsamkeit im Sprechen, damit wir so sprechen, dass
etwas Gemeinsames entsteht, etwas, das größer ist als die beiden Partner, die miteinander sprechen. Wenn diese
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