Was Die Liebe Naehrt
christlichen Lehre bewusst«. Daraus
entwickelte sich dann die Bedeutung »tugendhaft, sittsam, enthaltsam, rein«. Keuschheit meint also nicht unbedingt den Verzicht auf die Sexualität,
sondern das angemessene Verhalten in der Sexualität und den guten Umgang mit der sexuellen Energie. Keusch ist eine Liebe, die den anderen als Person
meint, die ihn nicht fürsich und seine Bedürfnisse benutzt, sondern ihn in seiner Einmaligkeit als Person liebt. Keuschheit könnte man
als nicht besitzergreifende Haltung gegenüber dem Partner und seinem Leib bezeichnen. Keusch ist die Sexualität, wenn ich mich in ihr an den anderen
hingebe, statt ihn zur Befriedigung meiner sexuellen Bedürfnisse zu benutzen. Keuschheit verstärkt und erweitert die Kraft zu lieben. Sie gibt uns die
Möglichkeit, das Heilige im anderen Menschen zu sehen, das, was meinem Zugriff entzogen ist. Keuschheit hatte in der Antike immer auch kultische
Bedeutung. Sie hat mit Ehrfurcht und Verehrung zu tun. Diese Ehrfurcht im sexuellen Umgang mit dem anderen ist ein wesentliches Kennzeichen von keusch
gelebter Sexualität. Keusch ist also nicht, auf die Sexualität zu verzichten, sondern die Sexualität in einer Haltung zu leben, die ganz und gar den
anderen meint, die nicht vermischt ist von Gier oder Sucht, die den anderen achtet und ehrt. Keusch meint letztlich, dass meine Sexualität ganz und gar
personal ist, dass sich meine Person darin ausdrückt und die Person des anderen meint. Immer wenn der andere als Objekt benutzt wird, als Objekt von
Gewalt, von Lustbefriedigung, von Spannungsabfuhr, wird die Sexualität unkeusch.
In der Religionsgeschichte, nicht nur der christlichen, wurde Keuschheit oft mit Enthaltsamkeit gleichgesetzt. Allerdings kannte man in den meisten
Religionen nur eine zeitlich befristete Enthaltsamkeit vor bestimmten Situationen, etwa vor dem Kampf, vor einem Opfer oder aber als Vorbereitung auf
besondere Konzentration. Die zeitweilige Enthaltsamkeit hatte einen ganz konkretenZweck. Sie diente der Kultivierung der
Sexualität. Die zeitweilige Enthaltsamkeit kann, wenn sie bewusst in Kauf genommen wird, die Sexualität intensivieren und zugleich auf eine andere Ebene
heben.
In der katholischen Kirche verbindet man Keuschheit vor allem mit dem Zölibat. Dabei muss man wiederum zwischen der Ehelosigkeit der Ordensleute und
dem Zölibat der Weltpriester unterscheiden. Während das Ordensleben in sich mit der Ehelosigkeit verknüpft ist, müsste diese zwingende Verbindung zwischen
Priestersein und Zölibat nicht sein. Das ist eine kirchengesetzliche Tradition, die auch aufgehoben werden könnte. Aber ganz gleich ob im Orden oder als
Weltpriester, die Ehelosigkeit hat sicher zu einem neuen Verständnis der Sexualität geführt. Denn die Ehelosigkeit kann nicht authentisch gelebt werden,
ohne dass sich die Ehelosen mit ihrer Sexualität aussöhnen und sie in ihr spirituelles Leben integrieren. Auch wenn die Integration der Sexualität bei
vielen Ehelosen nicht immer gelingt und oft zur Verurteilung oder Abwertung der Sexualität oder aber zum heimlichen Ausleben der Sexualität führt, so ist
die Ehelosigkeit der Ordensleute und Priester doch eine Herausforderung, die Sexualität in Spiritualität zu verwandeln, zu einer Lebensform also, die
Gottes Liebe sichtbar macht.
Allerdings gelingt das nur, wenn vier Bedingungen erfüllt sind. Damit die Sexualität in Spiritualität verwandelt werden kann, braucht es eine gute
Lebenskultur. Diese Kultur beginnt beim Wohnen, beim Essen und bei der Art und Weise, wie ich meinen Tag gestalte. Und sie zeigt sich im Sinn für Musik
und Malerei, für Dichtung und Architektur.Die Integration der Sexualität bedarf zudem guter menschlicher Beziehungen. In diesen
Beziehungen zu Männern und Frauen geht es um die Pflege einer Intimität, die die Nähe des anderen zulässt, ohne ihn erobern oder besitzen zu wollen. Die
Sexualität muss ferner in Kreativität verwandelt werden. Ordensleute, die kreativ sind und kreativ mit ihrer Arbeit und ihrem Leben umgehen, können
meistens auch gut mit ihrer Sexualität umgehen. Der vierte Schritt wäre eine mystische Spiritualität. Es genügt nicht, nur religiöse Pflichten zu
erfüllen. Es braucht die Ahnung der Ekstase in Gott hinein. Die Sehnsucht, mit Gott eins zu werden, kann die Sehnsucht nach dem Einswerden mit der Frau
aufgreifen und verwandeln.
Das Problem ist, dass heute kaum mehr ein Verständnis
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