Was Die Liebe Naehrt
Verletzung. Er hat den Eindruck, dass er vom anderen nur dann angenommen wird, wenn er gesund ist und etwas darstellt. Natürlich gibt
es da Grenzen. Ein Mann trennte sich von seiner Frau, deren Psychose für ihn unerträglichgeworden war. Er hatte es bei der Heirat nicht
bemerkt, dass seine Frau psychotisch veranlagt ist. Damals schien sie ihm manchmal etwas kompliziert. Aber er hatte gedacht, er könne diese
Schwierigkeiten mit seiner Liebe heilen. Doch dann entpuppte sich die Psychose als starke Schizophrenie. Die Frau lebte in einer irrationalen Welt, in der
für den Mann mit seiner Realität kein Platz war. Es steht uns in diesem konkreten Fall nicht zu, zu urteilen, wenn der Mann sich trennt, um sich selbst zu
schützen und gesund zu bleiben. Aber wenn ein Mann sich von seiner Frau trennt, sobald er erfährt, dass sie Krebs hat, ist es für die Frau eine tiefe
Kränkung. Wenn sie den Eindruck hat, der Mann liebe sie nur solange, wie sie seine sexuellen Bedürfnisse erfüllen könne, und lasse sie fallen, wenn sie
selbst krank ist, dann fühlt sie sich nur benutzt. Eine solche Situation ist eine spirituelle Herausforderung. Ich habe Paare erlebt, die durch den Krebs
eines Partners auf neue Weise zusammengewachsen sind. Sie haben aufgehört, sich über Belanglosigkeiten zu unterhalten. Sie hatten das Gefühl, dass jeder
Tag ein Geschenk war. So haben sie das Geheimnis des anderen immer mehr kennen gelernt. Ihre gemeinsame Liebe ist durch die Krankheit gewachsen. Als die
Frau dann an Krebs starb, haben sie gespürt, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Sie haben die Wahrheit des Satzes von Gabriel Marcel erlebt: »Lieben,
das heißt, zum anderen sagen: Du, du wirst nicht sterben.« Durch die Auseinandersetzung mit ihrem Sterben hat der Mann eine Liebe erfahren, die er in
gesunden Tagen so nie erlebt hatte. Beide waren sich in ihrem Herzen so nahegekommen, dass auch der Tod sie nicht voneinander scheidenkonnte. Die Frau lebt mit ihrer Liebe im Herzen des Mannes weiter.
Ein wesentlicher Aspekt der christlichen Spiritualität ist der bewusste Umgang mit dem Tod. Es gab im Christentum eine ars moriendi , eine
Kunst zu sterben, als eine Einübung in die Kunst des Sterbens. Diese Einübung in die Tatsache unserer Endlichkeit geht über das Bewusstwerden, dass wir
täglich sterben können. Der hl. Benedikt rät seinen Mönchen, sie sollten sich täglich den Tod vor Augen halten. Diese Übung lässt uns nicht nur bewusster
leben. Wenn ein Paar sich gemeinsam den Tod vor Augen hält, dann kann das auch ihre Liebe vertiefen und die Entwicklung ihrer Beziehung
weiterbringen. Beide wissen um die Endlichkeit ihres gemeinsamen Weges. Dieses Wissen kann Angst machen. Es kann aber auch einladen, die gemeinsamen Tage
bewusst zu genießen und erfüllt zu leben. Und es kann dazu einladen, über den Tod nachzudenken und nach der Tragfähigkeit und Reichweite unseres Glaubens
zu fragen. Auferstehung heißt, dass wir nicht aus der Liebe Gottes fallen können. Sie heißt aber auch, dass wir im Tod nicht aus der Liebe unseres
Partners fallen können. Die Liebe ist stärker als der Tod. In der Liebe ist immer schon Todüberwindung. Diese Erkenntnis gibt den Ehepaaren das Gefühl,
dass es in ihrer Endlichkeit und Brüchigkeit etwas gibt, das nicht zerstört werden kann, dass in ihrer Liebe etwas ist, das den Tod überdauert. Der
Gedanke an den Tod intensiviert auf diese Weise ihre Liebe. Er zeigt ihnen das wahre Geheimnis ihrer Liebe auf. Die gemeinsame Geschichte, die ein Ehepaar
stiftet, geht mit dem Tod nicht zu Ende. Sie wirdim Tod vollendet und reicht über den Tod hinaus. Sie wirkt sich auf die Kinder und
Kindeskinder aus und auf all die Menschen, denen man auf dem Lebensweg begegnet ist.
Gegenseitige Achtsamkeit und Beziehungsarbeit
Achtsamkeit ist heute ein Zentralbegriff der Spiritualität geworden. Thich Nath Hanh empfiehlt sie als alltägliche Übung zur Erfahrung
von Glück und Zufriedenheit. Aber auch die christliche Tradition kennt diesen Begriff. Der hl. Benedikt fordert seine Mönche auf, achtsam mit dem
Handwerkszeug umzugehen, aber auch auf die Zunge, auf die Worte zu achten und überhaupt achtsam zu sein im Umgang mit den Menschen. Der Cellerar soll
immer auf seine Seele achten, auf die leisen Impulse seiner Seele, auf seine Gefühle und Emotionen, auf den inneren Widerstand gegen bestimmte Arbeiten
oder Menschen. Das lässt sich auch auf die partnerschaftliche
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