Was die Nacht verheißt
Etikette, besonders was die britische Oberklasse betraf.
»Wir werden mit förmlichen Begrüßungen anfangen«, sagte der Professor und begann, die Regeln der förmlichen Anrede zu erklären, und dass die Person mit dem niedrigeren Rang immer derjenigen mit dem höheren vorgestellt wurde. Dem folgte ein Vortrag über Titel insgesamt.
»Alle männlichen Adligen außer Herzögen werden Lord genannt«, erklärte er, bei den Grundlagen beginnend. »Herzoge spricht man mit >Euer Gnaden< an. Jüngere Söhne eines Herzogs oder Marquis werden mit Lord und ihrem Vornamen angesprochen. Der Freund des Grafen, Richard Lockhart zum Beispiel, heißt Lord Richard, da sein Vater der Marquis von Halliday ist. Man würde ihn jedoch unter keinen Umständen je als Lord Lockhart bezeichnen.«
Um Himmels willen, dachte sie.
»Ehefrauen eines jüngeren Sohnes werden mit dem Namen ihres Ehemanns angesprochen. Wenn Lord Richard heiraten würde, wäre seine Frau also Lady Richard Lockhart, oder einfach Lady Richard.«
Lady Richard?
»Die einzige Gelegenheit, bei der man eine Lady mit ihrem Vornamen anspricht, ist, falls sie die Tochter eines Herzogs, Marquis oder Grafen sein sollte. Wäret Ihr eine solche junge Dame, würde man Euch Lady Brianne nennen. Der älteste Sohn eines Herzogs oder Marquis bekommt eventuell einen Titel, einen der niedereren Titel seines Vaters. Zum Beispiel könnte er ein Baron oder Viscount sein. Diese Titel dürfen jedoch nicht, wie beim Graf von Hawksmoor, ein von in der Mitte haben. Man ist einfach der Baron oder Viscount Soundso. Ist das alles völlig klar?«
Klar? Es war so unklar wie die schlammigen Wasser des Ashley River in ihrer Heimat. »Ich glaube schon.« Doch bis zum Ende der Stunde schwirrte ihr der Kopf. »Herr im Himmel, ich hatte keine Ahnung, dass ich mir so viel würde merken müssen.«
»Verzweifelt nicht, meine Liebe. Es wird Euch irgendwann ganz natürlich erscheinen. Professor Felton ist hier, damit es so kommt.«
Brandy zwang sich zu lächeln und wusste nicht recht, was sie von ihrem seltsamen Professor halten sollte, aber sie war entschlossen, alles zu lernen, was er sie lehren würde.
Sie dachte jetzt an ihn, als sich die Geräusche des Abends verstärkten, das Zirpen der Grillen, der Ruf einer Eule in der Ferne. Sie ging weiter den Pfad entlang und trat noch einmal gegen einen Stein, dann zuckte sie zusammen, als seine scharfe Spitze sich in ihren Fuß bohrte. Sie musste zurück zu ihrem Haus, bevor es zu dunkel wurde, und doch wollte sie noch nicht zurück in ihr leeres Zimmer, und sie war einfach zu deprimiert für eine Unterhaltung mit ihrer kleinen braunhaarigen Zofe.
Entschlossen, Marcus und den Schmerz zu vergessen, der immer noch in ihrem Herzen pochte, kehrte Brandy um und ging die Klippen entlang zu ihrem Haus zurück. In der Ferne konnte sie die Türme und Dächer von Hawksmoor House erkennen. Aus den hohen Butzenfenstern drang der gelbe Schimmer des Lichts von Lampen, die im Haus entzündet wurden.
Sie fragte sich, in welchem Zimmer Marcus jetzt wohl sein mochte, überlegte sich, wo er schlief und ob er sich in den langen, leeren Stunden vor dem Morgengrauen so wie sie an die Nächte voller heißer Leidenschaft erinnerte, die sie in seiner Kajüte an Bord der Seehabicht geteilt hatten.
18
Eine schwache Spätsommersonne schimmerte durch die Bäume an der kiesbestreuten Auffahrt zu Hawksmoor House. Brandy wanderte den Weg entlang und lief mit entschlossenen, festen Schritten die Treppe hinauf, von neuer Entschiedenheit erfüllt.
Die schmerzlichen Worte, die Marcus zu ihr gesagt hatte, waren sicher versteckt in einem hinteren Winkel ihrer Erinnerung, wo sie ihr nicht weiter wehtaten. Was immer auch Marcus mit seinem Leben anfing, was immer zwischen ihnen geschehen mochte, sie war seine Freundin, und sie war hier, um ihm zu helfen.
Rex hatte sie kommen sehen und wartete an der Tür, um sie zu begrüßen, neben ihm Richard Lockhart. Die beiden Männer trugen Reitkleidung, Richard lederne Kniehosen und ein weißes Baumwollhemd, Rex enge schwarze Kniehosen und hohe schwarze Stiefel. Ein einfacher grauer Reitrock hing über seiner einen Schulter, elegant von einer Hand gehalten.
»Na, du fängst ja heute mal wieder früh an«, sagte Rex.
Brandy lächelte. »So wie ihr, scheint mir.«
Rex erwiderte das Lächeln ebenso wie Richard Lockhart. »Miss Winters - ich freue mich wirklich, Euch zu sehen.« Übermäßig höflich, wie er immer war, verbeugte er sich tief über
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