Was die Nacht verheißt
Flo. Ich habe mein ganzes Leben auf eine solche Gelegenheit gewartet. Ich muss herausfinden, wie die Welt außerhalb des Wirtshauses aussieht. Ich muss feststellen, was ich wirklich mit meinem Leben anfangen will.«
»Warum kannst du dir nicht einfach einen Mann und Kinder wünschen wie jedes andere junge Mädchen?«
»Und du, warum kannst du es nicht?«, fragte Brandy
»Denkst du etwa, ich will so etwas nicht?« Flo stand vom Bett auf. »Es gibt nichts auf dieser Welt, was ich mir mehr wünsche als einen Mann und mein eigenes Heim.«
»Davon hast du in all diesen Jahren nie etwas gesagt. Du hast nie irgendein Interesse an den Männern gezeigt, die ins Wirtshaus kommen. Ich dachte, du wärest an der Ehe nicht interessiert.«
»Oh, interessiert bin ich schon.« Flo wandte den Blick ab. »Unglücklicherweise ist der Mann, den ich will, schon verheiratet.«
»Was?«
»Genau das. Ich bin nicht besonders stolz darauf, darum habe ich nie davon gesprochen. Aber ich bin schon seit Jahren in William Brewster verliebt. Er ist der einzige Mann für mich, selbst wenn ich ihn nicht bekommen kann.«
»Aber du könntest doch bestimmt auch jemand anderen finden, jemanden, der -«
»Es gibt keinen anderen für mich. Auf keinen Fall. Manche Menschen lieben nur einmal. Für mich gibt es nur Willie. Du solltest besser zu Gott beten, dass, wenn du dich je verliebst, der Mann diese Liebe auch erwidert.«
Brandy sagte nichts mehr, aber Marcus Delaines gut aussehendes Gesicht erschien vor ihrem inneren Auge. Und dazu spürte sie ein seltsames Schaudern der Erwartung. Die Reise, die sie vorhatte, würde voller Gefahren sein. Marcus Delaine und die heftige Anziehung, die sie immer ihm gegenüber empfunden hatte, gehörten ganz sicher auch dazu.
»Ich muss gehen.« Sie griff nach der zerschlissenen Wolljacke, die auf dem Bett lag, und schob die Hände in die Ärmel. »Ich muss eine Möglichkeit finden, an Bord des Schiffes zu gehen, ohne dass mich jemand sieht. Die Mannschaft kommt erst gegen Mitternacht zurück. Bis dahin möchte ich schon in meinem Versteck sitzen.«
Flo beugte sich vor und umarmte sie. »Bist du ganz sicher, dass ich dir die Sache nicht ausreden kann?«
Brandy lächelte. »Was meinst du?«
»Ich glaube, dass du spinnst, aber das habe ich dir schon gesagt.«
»Wünsch mir Glück, Flo. Glück und ein großes Abenteuer.«
»Ich wünsche dir: Geh mit Gott, und gute Heimreise.«
Brandy drückte sie noch einmal an sich. »Danke, Flo. Wir sehen uns in dreißig Tagen. Wenn ich Glück habe, wird mein Vater dann so froh sein, mich wiederzuhaben, dass er auf jede Strafe verzichtet, die er sich bis dahin ausgedacht hat.«
»Geringe Chancen für Derartiges.« Flo ging mit ihr die Hintertreppe hinunter und stand dann da und winkte, als Brandy sich ihr kleines Kleiderbündel mit ein paar Tagesrationen Essen und Wasser über die Schulter warf, über die Straße ging und in Richtung Kai losmarschierte.
Brandy drehte sich noch einmal um und sah ihre Freundin im Wirtshaus verschwinden. Dann ging sie weiter, und ihre dicken Lederschuhe klapperten laut auf dem hölzernen Dock. Die meisten Männer der Mannschaft würden noch ein paar Stunden an Land sein. Sie nahm an, dass Kapitän Delaine schon an Bord war, wahrscheinlich auch Hamish Bass, der Erste Maat.
Ihr Plan war einfach. In den Kleidern eines Kabinenjungen, die Haare unter einer braunen Wollmütze versteckt, würde sie einfach im Dunkeln an Bord gehen, als wäre sie einer der mehr als vierzig Leute, die an Bord zurückkehrten. Sie würde unter Deck gehen, ohne dass man sie sah, und irgendwo ein sicheres Versteck finden.
Als sie den Laufsteg erreicht hatte, holte sie tief Luft, zog die Mütze in die Stirn und ging langsam den breiten Holzsteg hinauf, in der Hoffnung, dass ihr heftig pochendes Herz nicht tatsächlich so laut schlug, dass es jemand hören konnte. Ein Matrose stand an der Reling gegenüber auf dem Deck, hatte ihr aber den Rücken zugekehrt. Ein paar Männer spielten im Licht einer Laterne Karten. In der Ferne konnte sie einen Seemann auf einer Flöte leise trällern hören.
Brandy kümmerte sich nicht weiter um die anderen und marschierte einfach auf den Eingang zum Unterdeck zu, der zum Laderaum in der Mitte des Schiffes führte.
Sie war nur einmal an Bord der Seehabicht gewesen, als Hamish Bass ihr eine Führung angeboten hatte. Sie war natürlich fasziniert gewesen, und selbst jetzt erinnerte sie sich noch genau an den Aufbau des Schiffes und an fast
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