Was die Nacht verheißt
jeden Durchgang.
Sie fand sich leichter zurecht, als sie erwartet hatte, und da nur so wenige Männer an Bord waren, achtete niemand auf sie. Die Leitern waren steil, die Gänge düster. Im Laderaum war es feucht und kälter, als sie gedacht hatte, doch die hoch darin aufgestapelten Kisten, Fässchen und Hunderte von Mehlsäcken machten es ihr nicht allzu schwer, ein gutes Plätzchen zu finden. Sie baute sich eine kleine Höhle hinter ein paar Holzkisten, in die sie ringsum kleine Mehlsäcke stellte als Isolierung gegen die Kälte.
Der größte Teil der Ladung war gut gesichert und mit Seilen festgezurrt, damit sie sich nicht unter Deck bewegte. An jedem Ende des Laderaums hing nur eine Lampe, die ein wenig die bedrohliche Dunkelheit verdrängte.
Brandy schauderte und zog ihre fadenscheinige Jacke fester um sich. Eine Ratte huschte am Rumpf entlang und quietschte dabei. Sekunden später krabbelte ein Insekt über ihre Hand. Brandy unterdrückte einen Schrei.
Nichts, was die Sache wert ist, fällt einem je leicht, sagte sie sich. Sie war sicher versteckt und bereit, ihr großes Abenteuer zu beginnen. Dennoch hoffte sie, dass sie nicht allzu lange im Laderaum würde bleiben müssen.
Der Wind wurde heftiger, nachdem sie den Hafen verlassen hatten, und die See wurde rau. Marcus stand am Steuer, die Beine breit, um das Schwanken des Schiffes auszugleichen, und starrte zum Horizont. Flache graue Wolken hingen tief über einem Meer voller weißer Schaumkronen, und in der Ferne zuckten Blitze.
»Sieht aus, als könnte es einen üblen Sturm geben«, sagte Marcus zu Hamish.
»Aye, Käpt’n, gut möglich.«
»Schick einen der Männer nach unten, um die Ladung zu prüfen und nachzusehen, ob alle Seile wirklich festgezogen sind.«
»Aye, mache ich.« Hamish schlurfte in seinem rollenden Gang davon, sein langes graues Haar flatterte unter dem Rand einer Wollmütze. Er verschwand außer Sicht, und Marcus sah wieder aufs Meer hinaus.
Wie eine schöne Frau, dachte er wie schon öfter, ungezähmt, leidenschaftlich und eigenwillig. Seltsamerweise erschien bei diesem Gedanken ein anderes Bild vor seinem inneren Auge, ein süßes Lächeln auf einem Gesicht, das von dichtem rotgoldenem Haar umrahmt war, volle rote Lippen und bernsteinfarbene Augen, die an den Augenwinkeln leicht schräg gestellt waren.
Er schnaubte über seine Gedanken. Nein, das war keine Frau, kaum mehr als ein Mädchen. Sie hatte allerdings den Körper einer Frau, eine schlanke Taille und hohe, volle Brüste, ein Paar schmale Fesseln und dazu, stellte er sich vor, ein festes kleines Hinterteil. Aber Brianne Winters war noch jung, unschuldig und unglaublich naiv. Es überraschte ihn, dass er überhaupt an sie gedacht hatte, und nicht an die dunkelhaarige Frau, mit der er geschlafen hatte, als er im Hafen angekommen war, eine lustige Witwe, die geschickt seine männlichen Bedürfnisse befriedigt hatte.
Vielleicht war es Brandys spritziger Geist, denn den bewunderte er wirklich, und er stellte fest, dass er lächeln musste, als er an ihren Zusammenstoß mit dem ersten Maat der Fairwind dachte. Sie war ein feuriges kleines Wesen - aber noch keine Frau, rief er sich noch einmal in Erinnerung.
Trotzdem blieb ihr Bild weich in seinen Gedanken haften, als er wieder aufs Meer hinaussah.
Das Schiff schwankte zur Seite, hob sich auf eine Welle und tauchte dann wieder abwärts. Brandys Magen tauchte mit ihm abwärts, kippte und drehte sich um. Sie schaffte es kaum rechtzeitig, auf die Knie hochzukommen und über dem Eimer zu würgen, den sie sich organisiert hatte, als sie merkte, dass ihr schlecht wurde. Das war vor zwei Tagen gewesen - oder waren es schon drei? Fühlte sich eher nach zwanzig an. Sie konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, als sie etwas gegessen hatte, und doch würgte sie weiter über dem Eimer, als wäre wirklich noch irgendetwas in ihrem Magen geblieben.
Zitternd legte sie sich wieder auf ihre provisorische Matratze zurück und lehnte den Kopf an den Rumpf des Schiffes. Ihre Mütze war längst fort, ihr Zopf hing schlaff über ihrer Schulter. Sie war so schwach, dass sie kaum noch die Wasserflasche hochheben konnte, die sie mitgebracht hatte. Sie trank ein paar vorsichtige Schlückchen, spürte, wie das kalte Wasser in ihrem Magen ankam, und bedauerte sofort den Versuch.
Sie ächzte, als sie sich zu dem Eimer lehnte und noch einmal würgte. Undeutlich nahm sie im Hintergrund ein Geräusch wahr, das dann lauter wurde, aber ihr war zu
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