Was die Seele krank macht und was sie heilt
Wiedergutmachung und die Sühne auch wirklich annimmt. Ohne diese Bemühungen gibt es keine Versöhnung. In der Praxis kann man bei Ehe- und Partnerschaftskrisen häufig beobachten, daß die Versöhnung nicht an dem Schuldigen scheitert, sondern am Unschuldigen. Er ist böse und fühlt sich dem Schuldigen überlegen. Der Unschuldige weist häufig den Schuldigen zurück, als bräuchte er ihn nicht. Gegen solche Unschuld hat ein Schuldiger keine Chance!
Schicksal und Schuld
Es kommt auch vor, daß sich jemand durch Schicksalsumstände schuldig fühlt. Ein drogensüchtiger Jugendlicher hatte bei seiner Geburt die Mutter verloren. Selbstverständlich ist er unschuldig am Tod der Mutter, doch fühlte er sich trotzdem schuldig. Die unbewußte Dynamik bei ihm lautete: »Weil es für dich so schrecklich war, liebe Mama, geht es auch mit mir schlecht weiter. Es darf mir nicht gutgehen.« Es ist eine magische Form von Liebe, wenn das Kind glaubt, es könne durch eigenes Leid für ein früheres Leid bezahlen.
In der Familienaufstellung ließ die Therapeutin den Sohn zur Mutter sagen: »Ich nehme das Leben zu dem Preis, den es dich gekostet hat, und ich mache dir zum Andenken etwas Gutes daraus. Bitte segne mich, wenn ich bleibe.« Der Jugendliche gab die Drogen auf, machte noch seinen Schulabschluß und konnte später eine Partnerschaft eingehen. Ein anderes, diesmal konstruiertes Beispiel: Im Motor eines Hubschraubers kommt es zu einer Explosion, obwohl der Helikopter regelmäßig gewartet worden war. Vier Insassen werden getötet, nur der Pilot überlebt. Trotz der Unschuld des Piloten wird dieser sein Überleben mit dem Tod der anderen in Verbindung bringen. Er fühlt sich schuldig, wenn er glücklich weiterleben würde. Auch in diesem Fall gibt es ein Bedürfnis nach Ausgleich. Wer vom Schicksal »bekommen« hat, indem er überlebte, meint, »geben« zu müssen von seinem Glück. Doch dem Schicksal ist es völlig gleichgültig, ob wir glauben, wir seien ihm etwas schuldig.
In solcher schicksalhafter Schuld und Unschuld erfahren wir uns als machtlos. Deswegen können wir nur schwer damit umgehen. Die Lösung wäre hier, sich in einen undurchschaubaren Zusammenhang zu fügen. Das ist mit Demut verbunden. Ein Begriff, der alles andere als populär ist, den wir aber bei Hellinger häufig antreffen. Die Demut macht es möglich, mein Leben und mein Glück so zu nehmen, wie es mir zufällt, unabhängig davon, was andere dafür bezahlt haben. Wenn ich ein schwereres Los als andere gezogen habe, läßt mich die Demut dem Schicksal zustimmen. Nicht ich bestimme das Schicksal, sondern das Schicksal bestimmt mich.
Ein Beispiel, das Bert Hellinger erzählt hat, mag dies erläutern: An einem Seminar nahm ein sympathischer Mann teil, der meist wie leblos dasaß. In einer Altersrückführung stellte sich heraus, daß er als Fünfjähriger in seiner Schulter einen Tumor hatte. Mit besorgter Miene standen die Ärzte um das Bett herum, und in diesem Augenblick ist er innerlich gestorben. Er wurde operiert, und es zeigte sich, daß der Tumor glücklicherweise gutartig war. Trotzdem lebte er mit dem Gefühl, abgestorben zu sein, weiter. In solchen Fällen ist das Danken für die Errettung von Bedeutung. Man kann anschließend das Geschenk des Lebens annehmen und etwas daraus machen. Auch wenn jemand beim Schwimmen schon das Bewußtsein verloren hatte und fast ertrunken wäre, ist die Dynamik ähnlich wie in dem geschilderten Fall.
Das Gewissen
Alles Handeln, das andere Menschen betrifft, wird begleitet von einem Gefühl der Schuld oder Unschuld. Dieses Gefühl, ob unser Handeln der Beziehung nutzt oder schadet, übermittelt uns unser Gewissen. Es funktioniert ähnlich wie der Gleichgewichtssinn, der uns immer wieder in die Balance bringt. Das Gewissen ist unserem Wollen überlegen und reagiert reflexartig, wenn wir zu weit von unserem Kurs abgekommen sind und unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder die Bindung an einen Menschen gefährdet ist.
Zu den Voraussetzungen für menschliche Beziehungen gehören die Bindung, der Ausgleich und die Ordnung. Das Zusammenspiel dieses Dreigestirns bildet unser Gewissen. Diese drei Bedingungen werden auch gegen unseren bewußten Willen als Trieb, Bedürfnis und Reflex erfüllt und beziehen die Familie mit ein.
Etwas ganz anderes verstand Sigmund Freud unter Gewissen. Für ihn war es die Wirkung des Über-Ichs auf das Ich; es war eine Instanz innerhalb der Person, die durch ihre zuweilen
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