Was die Seele krank macht und was sie heilt
steigert seine Neckereien. Warum sind Kinder so »grausam«? Als stiller Beobachter der Szene verkrampft sich etwas in mir. Es tut mir fast körperlich weh, das mit ansehen zu müssen. Endlich, nach einer Viertelstunde, kommt -wenn auch viel zu spät - eine Erleuchtung über die Mutter: »Das ist die letzte Warnung! Noch einmal, und du mußt in dein Zimmer!«
Wie nicht anders zu erwarten, macht Christian seine »Psychospielchen« weiter. Ohne weitere Erklärung schnappt sich die Mutter energisch ihren wild protestierenden Sprößling und bringt ihn ins Kinderzimmer. Das Gespräch zwischen den Erwachsenen kann nun endlich fortgesetzt werden. Nach einer halben Stunde schaut die Mutter wieder ins Kinderzimmer. Christian strahlt über das ganze Gesicht und umarmt seine Mutter heftig. Anschließend ist er das liebste Kind, das man sich vorstellen kann. Alles, nach was seine Seele wirklich schrie, war das Bedürfnis, eine starke Mutter zu erleben, eine Mutter, die fähig ist, klare Grenzen zu setzen. Erst wenn das Kind »große«, starke Eltern erlebt, fühlt es sich geborgen und sicher. Um dieses Ziel zu erreichen, lohnt für ein Kind auch ein »größerer Aufwand«.
Weil Eltern zunehmend zu den Freunden ihrer Kinder werden, statt Eltern zu sein, werden die Kinder immer mächtiger. So darf man sich nicht wundern, daß sie diese tyrannisieren und ihnen böse sind, denn die Störaktionen sind nur ein Hilferuf: »Wann werdet ihr endlich begreifen, was ich wirklich will?« Eltern tun gut daran, ihren Kindern klar zu vermitteln, wer das Heft in der Hand hat. Die Mutter in unserem Beispiel hatte sich von ihrem Sohn viel zu lange auf dem Kopf herumtanzen lassen. Es ist ratsam, die Kinder rechtzeitig klare Einstellungen erkennen zu lassen, damit diese wissen, woran sie sind.
Ein anderes Beispiel: Eine alleinerziehende Mutter hatte ihren 16jährigen Sohn in die Rolle des Ersatzmannes schlüpfen lassen. Durch diesen Umstand hatte der Junge extrem viel Macht, und die Frau hatte zuweilen sogar Furcht vor ihm. Alle wichtigen Entscheidungen wurden von ihm getroffen. Das wurde beispielsweise an einem Autokauf deutlich. Obwohl die finanzielle Situation der kleinen Familie keineswegs rosig war, bestimmte der Sohn, welches Auto es sein sollte. Es war ein recht teures Auto, und die Mutter gehorchte. Doch finanzielle Note ließen die Frau bereuen, daß sie ihren Sohn die Entscheidung hatte treffen lassen. Sie schmiedete den Plan, seinen Urlaub mit einer Jugendgruppe zu nutzen, um das Auto wieder zu verkaufen und ein preiswerteres zu beschaffen. Doch sie hatte fürchterliche Angst: »Was wird mein Sohn mit mir anstellen? Er wird toben und schreien, und alles wird noch schlimmer. Wie soll ich ihm das nur erklären?«
»Gar nicht!« gab ich ihr zur Antwort. »Du machst, was du für richtig hältst, und stellst ihn vor vollendete Tatsachen. Wenn er Erklärungen von dir will, erwiderst du mit ruhiger, freundlicher Stimme: >Ich tue, was ich für richtig halte.< Dann kannst du sogleich das Thema wechseln.«
»Aber das ist ja Revolution! Wie soll er verstehen, daß ich plötzlich die Zügel in die Hand nehme. Die ganzen Jahre war doch er der Boß und nicht ich. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das funktioniert!« rief sie aus.
»Mach’s einfach!« riet ich ihr. »Wir werden darüber reden, wie es war.«
Sie tat es tatsächlich und war über die Reaktion ziemlich erstaunt. Der Sohn protestierte zwar ein wenig, doch er lachte und insistierte nicht weiter. Von Wut konnte keine Rede sein. Die Mutter konnte in seiner Mimik sogar erkennen, daß er über ihre plötzliche Stärke erleichtert war! Diese Erfahrung wird ihr helfen, in Zukunft zwar liebevoll, aber doch als Elternteil und nicht in der Kindrolle gegenüber ihrem Sohn aufzutreten. Die Seele des Jungen wird dadurch jedenfalls sehr entlastet. Zur normalen Entwicklung eines Kindes gehört es natürlich, daß es zuweilen Verbote Übertritt und damit schuldig wird. Wenn beispielsweise ein Kind die Familie verläßt und einen Partner oder einen Beruf wählt, den die Eltern ablehnen, kann es nur heiraten oder diesen Beruf erlernen, wenn es gegen die Normen der Eltern verstößt. Wie schon gesagt, -sind« Kinder nicht nur ihre Eltern, sondern sie haben auch etwas Eigenes, für das sie Verantwortung tragen.
Eine gesunde Ich-Stärke entwickelt ein Kind, wenn es Verbote der Eltern auch Übertritt. Oft müssen die Eltern heimlich hoffen, daß ihr Kind ein Verbot mißachtet. Wenn das Kind dies auf
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