Was die Seele krank macht und was sie heilt
kaum eine befriedigende Partnerschaft erleben können. Partnerschaften können nur gelingen, wenn der frühere Partner geachtet wird. Wenn der Elternteil gehaßt und abgewertet wird, bindet sich der oder die Mißbrauchte um so intensiver an ihn, und ein Mann oder eine Frau, die ihm oder ihr begegnen, sind auf längere Sicht chancenlos.
Allerdings darf, und hier zeigt sich, wie vielschichtig das Thema ist, das Kind auf den Täter böse sein und ihm die Schuld geben. Dazu braucht es sehr viel Mut, weswegen Hellinger vom »Zumuten der Schuld« spricht. Das Kind kann sagen: »Du hast mir unrecht getan, und ich lasse die Schuld bei dir. Es steht mir nicht zu, das zu verzeihen.« Verzeihen würde bedeuten, freiwillig die Schuld vom Täter zu übernehmen, die doch dieser tragen soll. All das kann ruhig und abgeklärt geschehen - ohne Haß, Racheabsichten und Vorwürfe. Die Lösung kommt somit nicht durch den Kampf, der keine (Los-)Lösung bewirken kann, weil Kampf immer verbindet.
Die meisten Therapien bei sexuellem Mißbrauch sehen völlig anders aus als das, was auf diesen Seiten vorgestellt wurde. Bekannte Familientherapeuten wie Jay Haley und Cloe Madanes lassen den Täter vor dem Opfer knien, damit er seine Reue ausdrückt und sich entschuldigt. Das Opfer kann ihm vergeben, wenn es das möchte. Auch die anderen Familienmitglieder knien vor dem Opfer nieder. Sie sollen ihren Schmerz und ihre Reue darüber ausdrücken, daß sie dieses Familienmitglied nicht besser beschützt haben.
In der Arbeit mit dem Täter diskutiert Madanes mit beiden Eltern, welches die zukünftigen Konsequenzen sein werden, falls der Täter rückfällig wird. Des weiteren stellt sie mit dem Täter einen detaillierten Plan auf, was er tun soll, wenn der falsche sexuelle Impuls wieder auftritt: ins Kino gehen, essen gehen, die Therapeutin anrufen usw.
Man mag darüber denken, wie man will, eine Therapie an der Wurzel des Problems ist dies wohl nicht. Auch daß alle Familienmitglieder vor dem Opfer knien, hat auf seine Seele keineswegs eine gute Wirkung - selbst wenn das Bewußtsein des Opfers das anders erlebt.
Madanes berichtet über einen großen Erfolg ihrer Therapie: In 96% der Fälle kommt es zu keinem Rückfall - keinem registrierten (!!) Rückfall. 10 Wenn man Erfolg so definiert, ist dies sicherlich eine gute Therapie. Man kann aber an »Erfolg« auch andere Fragen knüpfen: Wie entwickelt sich später die Fähigkeit, Partnerschaften einzugehen? Wie ist die Gemütsverfassung des Opfers über einen längeren Zeitraum hinweg? Gibt es Depressionen oder Drogenmißbrauch? Wie entwickelt sich der Umgang mit den Eltern und der Familie? Kann das Opfer später im Leben Sexualität als etwas Freudvolles erleben?
Für Bert Hellingers Arbeit gibt es übrigens keine Statistik, wie sie nach sexuellem Mißbrauch oder auch bei Schwerkranken gewirkt hat. In seiner Arbeit mit kranken Menschen geht er davon aus, daß man die Wirkung der Aufstellungsarbeit während der Therapie erkennt, wenn ein Klient anfängt zu strahlen und sich erleichtert zeigt. Diese Wirkung genügt ihm, den Rest überläßt er dem Klienten. Eine wissenschaftliche Überprüfbarkeit der Familienaufstellung verbietet sich seiner Ansicht nach von selbst, da der Klient noch unzähligen anderen Einflüssen ausgesetzt ist, wie der Behandlung von Ärzten, der Begegnung mit Freunden und Sozialarbeitern. Wer und was hat gewirkt, und wie hoch ist der prozentuale .Anteil, wenn es jemandem nach einem Jahr gutgeht? Dieses Argument Hellingers ist so umfassend, daß man es in der Tat auf jegliche Therapie anwenden kann.
Erziehungsgrundsätze
Wer kennt sie nicht, jene Szenen, in denen Kinder ihre Eltern bis zur Weißglut reizen. Ein kleiner Junge verspritzt mit dem Löffel den Tee im Wohnzimmer und zieht seine Mutter immer wieder kräftig an ihren langen Haaren.
»Wenn du jetzt nicht aufhörst, Christian, dann geschieht was!« schreit die Mutter.
Das Kind ist eine halbe Minute still und brav, dann lächelt es und beginnt das Spielchen von vorne.
»Christian! Bitte! Ich sag’s dir!«
Wieder ist das Kind ruhig, um nach einer halben Minute die Mutter erneut zu ärgern.
»Wie oft soll ich dir noch sagen, daß du mich nervst!« Die Stimme der Mutter überschlägt sich, wird kindlich, sie ist den Tränen nahe. »Du bringst mich um, wenn du jetzt nicht aufhörst. Ich flehe dich an!«
Das herzerbarmende Flehen der Mutter scheint das Kind nicht zu rühren - im Gegenteil. Es wird noch böser und
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