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Was die Seele krank macht und was sie heilt

Was die Seele krank macht und was sie heilt

Titel: Was die Seele krank macht und was sie heilt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schäfer
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Zeitpunkt schaffte sie es, den Satz zu sagen und den damit verbundenen Schmerz zu fühlen. Emotional war sie tief betroffen, daß ihr Vater sich in der Aufstellung über ihre Art der Solidarität keineswegs freute.
    Noch im frühen Mittelalter überließen sich die Menschen einer spontanen schmerzvollen Trauer. Was über Karl den Großen berichtet wurde, kann als typisch für die damalige Zeit angesehen werden. Als der Kaiser zum Schlachtfeld in Roncevaux kam, konnte er sich der Tränen nicht erwehren. Als er seinen toten Neffen sah, »bebte er vor Schmerz«. Er stieg vom Pferd, umarmte den Leichnam so fest er konnte und brach dann über der Leiche zusammen. Als er wieder zu sich kam, überließ er sich »den leidenschaftlichen Gebärden des Schmerzes«. 30 Auch die anwesenden Soldaten fingen laut an zu weinen und schluchzten.
    In anderen Trauerberichten aus jener Zeit ist die Rede, daß der Trauernde den Toten »mit aller Kraft an die eigene Brust drückt«. Dadurch kam er in Kontakt mit dem Schmerz, der ihm half - wie es ein schönes deutsches Wort ausdrückt - den Tod zu »verschmerzen«.
    Wie wichtig die unmittelbare Kontaktnahme mit dem Leichnam für den Trauerprozeß ist, zeigen die Erfahrungen eines amerikanischen Beerdigungsunternehmers. Er hatte durch die Erlebnisse bei der Beerdigung des eigenen Vaters erfahren, daß sein Berufsstand alles Erdenkliche tut, um den Hinterbliebenen vor seiner eigenen Trauer zu schützen. Er kam zu dem Schluß, daß seine bisherige Arbeit den Trauernden mehr geschadet als genutzt hat. 31 Nach der Beerdigung seines Vaters übte der Mann seinen Beruf völlig anders aus. Er nahm den Hinterbliebenen nur noch das Allernötigste ab und ermutigte sie, so aktiv wie möglich bei der Beisetzung zu helfen. Gerade dadurch wird jener tiefe Schmerz fühlbar, der die Seele heilt und ein gutes Weiterleben ermöglicht. Zum Beispiel ermunterte der Beerdigungsunternehmer die Trauernden, den toten Körper im Sarg mit den eigenen Händen zu berühren oder doch zumindest die Leiche anzuschauen. Auf diese Weise können wir die Realität des Todes buchstäblich »begreifen«. Wer dem Tod auf diese Weise ins Auge schaut, der kann ihn erleben.
    Wenn die Trauer eines Hinterbliebenen nicht enden will, so Hellinger, ist er dem Verstorbenen oft noch böse. Dann hilft der Satz: »Ich achte dein Leben und deinen Tod.« Manchmal kommt es auch vor, daß jemand die nicht gelebte Trauer eines anderen Familienmitgliedes übernimmt, oder er schuldet dem Toten noch etwas.
    Zum Ausklang dieses Kapitels sei eine Geschichte Bert Hellingers über den Tod wiedergegeben.

    Der Gast

    Irgendwo, weit weg von hier, dort, wo einmal der Wilde Westen war, wandert einer mit dem Rucksack auf dem Rücken durch weites, menschenleeres Land. Nach stundenlangem Marsch - die Sonne steht schon hoch und sein Durst wird groß - sieht er am Horizont ein Farmhaus. »Gott sei Dank«, denkt er, »endlich wieder mal ein Mensch in dieser Einsamkeit. Bei ihm kehre ich ein, bitte ihn um etwas zu trinken, und vielleicht setzen wir uns noch auf die Veranda und unterhalten uns, bevor ich wieder weiterziehe.« Und er malt sich aus, wie schön es sein wird.
    Als er aber näher kommt, sieht er, wie der Farmer sich im Garten vor dem Haus zu schaffen macht, und ihn befallen erste Zweifel: »Wahrscheinlich hat er viel zu tun, und wenn ich sage, was ich möchte, falle ich ihm lästig; er könnte meinen, ich sei unverschämt ...« Als er dann an die Gartentüre kommt, winkt er dem Farmer nur und geht vorbei.
    Der Farmer seinerseits sah ihn schon von ferne, und er freute sich. »Gott sei Dank! Endlich wieder mal ein Mensch in dieser Einsamkeit. Hoffentlich kommt er zu mir. Dann werden wir zusammen etwas trinken. Und vielleicht setzen wir uns noch auf die Veranda und unterhalten uns, bevor er wieder weiterzieht,- Und er ging ins Haus, um Getränke kalt zu stellen.
    Als er den Fremden aber näher kommen sah, begann auch er zu zweifeln. »Er hat es sicher eilig, und wenn ich sage, was ich möchte, falle ich ihm lästig; und er könnte meinen, ich dränge mich ihm auf. Doch vielleicht ist er durstig und will von sich aus zu mir kommen. Am besten ist, ich gehe in den Garten vor dem Haus und tue so, als ob ich mir zu schaffen mache. Dort muß er mich ja sehen, und wenn er wirklich zu mir will, wird er es schon sagen.« Als dann der andere nur herüberwinkte und seines Weges weiterzog, sagte er: »Wie schade!«
    Der Fremde aber wandert weiter. Die Sonne steigt noch

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