Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
fest. Beim Gehen ziehe ich den Mantel fester zu und schnalle den Gürtel enger. In so einer Umgebung haben meine Eltern gearbeitet, bevor ich auf die Welt kam – die alte Fabrik meines Vaters lag auf einem ähnlichen Gelände am Stadtrand, meine Mutter war dort Sekretärin, so haben sie sich kennengelernt. Damals waren sie beide schon Mitte dreißig und wohnten noch bei ihren betagten Eltern. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie umeinander warben, weil ich sie mir immer als den Typ Mensch vorgestellt habe, der nie irgendwen erwartet, schon gar nicht einander. Das wenige, das ich mir aus ihrem früheren Leben zusammenreimen konnte, ließ mich das gleiche Schicksal für mich befürchten, auf die vorgegebene, bestimmte Art, wie wir immer unser Schicksal fürchten. Der frühe Tod meines Vaters und die Krankheit meiner Mutter erlaubten es mir, mich diesem Schicksal zu widersetzen, ein Gedanke, der mich dankbar, schuldbewusst und einsam machte. Schließlich erfüllt es einen mit Mannschaftsgeist, seiner Bestimmung zu folgen, ob es einem gefällt oder nicht. Einmal, als ich spätabends mit Maurice in einem Pub saß, war er für seine Verhältnisse ungewöhnlich grummelig. »Ich weiß nicht, warum immer ich vorschlage, in den Pub zu gehen«, sagte er höhnisch, mit einem großen Glas trockenen Cider zu viel intus. »Als ob ich auch nur irgendwas mit euch allen gemeinsam hätte, so zielorientiert, wie ihr seid. Ich wollte überhaupt nie im Gesundheitswesen arbeiten …« Und, nach einem weiteren tiefen Schluck aus seinem Glas: »Ich wollte immer meinen eigenen Hotdog-Wagen, das hab ich gewollt.«
»Warum ist nichts daraus geworden?«, fragte ich.
»Es hätte nicht zu mir gepasst«, antwortete er.
Nicht weit hinter dem Rondell mit seinen schlaffen, verblassten Tulpen und leeren Bänken finde ich, wonach ich suche. Ich kann nicht stehen bleiben und hinstarren, sondern muss weitergehen, wenn auch langsam, als wäre ich woandershin unterwegs. Die Rolltür steht offen, und die Arbeiterinnen drinnen sind deutlich zu sehen. Alle tragen Mäntel und Mützen oder Kopftücher – sie sind dem Wind ausgesetzt. In der Mitte des Lagerhauses stehen reihenweise mit offenen Kartons vollgestapelte, aufgebockte Tischplatten. Der Tür am nächsten sehe ich einen Tisch, der mit einem Haufen Reißverschlüsse bedeckt ist. Eine junge Frau sortiert sie nach Größe und Farbe – einen Stapel kurze grüne, einen Stapel lange schwarze, einige braune in verschiedenen Längen. Unter dem Tisch steht ein großer Abfalleimer, und während ich vorübergehe, nestelt die junge Frau an einem kaputten Reißverschluss herum. Nach drei Versuchen, ihn auf- und zuzuziehen, bückt sie sich kurz und schmeißt ihn in den Abfall. Währenddessen plaudert sie lächelnd mit der jungen Frau neben ihr, auf deren Tisch sich braune Lederstücke stapeln. Jemand ruft etwas, und eine ältere Frau nähert sich der jungen mit den Reißverschlüssen und weist sie zurecht. Die junge Frau wirft ihr einen beleidigten Blick zu, während die ältere den kaputten Reißverschluss hervorzieht und hochhält.
Ich gehe weiter, begehe aber leichtsinnigerweise einen Fehler: Ich beobachte sie zu auffällig. Sie bemerken mich, so wie das oft passiert, wenn man Leute anstarrt, die wegsehen. Beide drehen sich zu mir um, und im selben Moment erkennen die ältere Frau und ich einander. Ich schaue sofort weg und beschleunige meinen Schritt, spüre aber ihren Blick im Rücken, während ich mit großen Schritten auf das Haupttor des Industriegeländes zueile. Obwohl ich sie nur kurz gesehen habe, bin ich mir sicher, dass sie eine der Frauen war, die am Tag von Bettys Beerdigung zum Krematorium kamen, und ziemlich sicher, dass sie auch weiß, wer ich bin.
Am Haupttor angekommen, habe ich ein Problem. Die Straße mündet direkt in die verlassene Schnellstraße, die vorbei an Hennett’s, dem Upton Centre und zwei anderen Fabriken nach Eastley zurückführt. Das Industriegelände ist eingezäunt, und es gibt keinen anderen Weg zurück zu meinem Auto als den über die Lagerhalle und das Rondell. Schließlich wandere ich ziellos etwa eine Viertelstunde lang über die Grasböschung neben der Schnellstraße, während Laster mit Abgaswolken so dröhnend an mir vorbeibrausen, dass ich in deren Abwind ins Schwanken gerate. Ich erreiche einen kleinen Rastplatz mit einer Bank aus Waschbeton, auf die ich mich ein paar Minuten setze. Es ist eiskalt, meine Nase läuft, und ich habe kein Taschentuch. Ich wische
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