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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Doughty
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gebe. Ich denke nur an Betty, während ich ihn ansehe. Er sieht Betty ähnlich, weißt du, richtig ähnlich. Ich bilde es mir bestimmt nicht bloß ein, es ist mir wirklich schon früher aufgefallen.«
    Ich weiß es, sowie ich wach werde. Sowie ich in den bewussten Zustand übergehe, schwappt das Wissen wie eine mächtige schwarze Woge über mich herein, so mächtig und schwarz, dass sie mich ans Bett fesselt. Manchmal kann ich nicht einmal den Kopf anheben, wenn Rees in meiner Zimmertür steht und mich ruft.
    »Fernsehen«, sage ich. »Seit Rees bei dir ist, habe ich nachmittags ein bisschen ferngesehen. Gestern hab ich was gesehen, einen von diesen Schwarz-Weiß-Filmen, die in einem Büro in New York spielen. Im Empire State Building. Frauen mit Hüten, witzige Dialoge. Eine ganze Stunde hab ich das durchgehalten.«
    »Hast du es mit Lesen versucht?«
    »Bücher schaffe ich nicht, zu schwergewichtig. Manchmal Zeitschriften, was richtig Seichtes, je seichter, desto besser.«
    »Gut«, sagt er und bringt ein schiefes Lächeln zuwege. »Wir brauchen das, gut.«
    Wir haben beide die Hand auf das Tischtuch gelegt. Gleichzeitig ziehen wir sie weg. Er schaut auf das Essen runter, dann wieder zu mir hoch, und wir sehen uns an. Als wir das erste Mal zusammen essen gingen, waren wir bei einem Inder. Während des Gesprächs riss er ein kleines Stück vom Naan-Fladenbrot auf seinem Teller ab, tunkte es ins Dhal und hielt es mir vor den Mund. Ich unterbrach mich mitten im Satz und machte den Mund auf, ganz natürlich, stumm. Als ihm dann später ein besonders appetitliches Fleischstück in der Lamm-Bhuna auffiel, die wir uns teilten, spießte er es mit der Gabel auf und hielt es mir hin, wieder wortlos. Diesmal ließen wir uns mehr Zeit, führten die Geste bewusster aus. Ich lehnte mich etwas vor und sah ihm in die Augen. Er legte mir das Fleisch behutsam auf die Zunge und zog die Gabel sachte zurück, während meine Lippen sich darum schlossen. Als Verführungstechnik war es höchst wirkungsvoll – im Innersten war ich dort unten überschwemmt –, aber er machte es auch später in unserer Beziehung, als er mich längst nicht mehr verführen musste. Nicht ständig, nur hin und wieder: ein Stück Bagel, ein Bissen von seinem Apfel, ein krümeliges Stückchen Mokka-Nuss-Torte auf einer Plastikgabel … Wäre die Tapasrestaurantszene ein Essen in unseren alten Zeiten gewesen, hätte er eine dieser öltriefenden grünen Bohnen aufgespießt und mir angeboten, und ich hätte den Mund so einfach aufgesperrt wie ein Vogelküken den Schnabel.
    Wir sehen uns an. Gleich wird der Kellner wiederkommen. Dann werden wir ihn um die Rechnung bitten. Wenn wir bezahlt haben, werden wir schweigend das Restaurant verlassen, die Speisen unangetastet, die Köpfe voll unausgesprochener Gedanken. Unsere Hände werden sich nicht berührt haben. Er wird mir nichts in den Mund gesteckt haben. Unsere Tochter wird zwischen uns gehen, wenn wir das Lokal verlassen, nicht mit uns, nicht hier.

15
    Mr. A. ist vierundfünfzig. Er wohnt in dem Wohnwagencamp oben auf der Steilküste, um das es hier im Ort so ein Hickhack gab. Das weiß ich dank meiner Kontakte zum Upton Centre. Das Upton Centre liegt auf der anderen Seite Eastleys, unweit vom Gewerbegebiet. Früher war es eines dieser Jugendzentren, von denen man annahm, ein Pingpongturnier jeden Donnerstagabend würde die einheimischen Jugendlichen davon abhalten, an Lappen zu schnüffeln, getränkt mit Benzin, das aus der Reifenfabrik nebenan geklaut war. Das Gewerbegebiet lag ein paar Meilen landeinwärts – ohne die Heerscharen kreischender Möwen, die am harschen Himmel kreisen, könnte man meinen, man sei im Flachland der Midlands. In der Gegend roch es nach verbrannten Reifen, das vergesse ich nie, ein Geruch, der zum Greifen nah in der Luft hing und dem ganzen Gebiet etwas von einer Nach-Katastrophen-Aura verlieh, als wäre es eine radioaktiv verseuchte Zone, in der Männer mit weißen Schutzanzügen und Atemgeräten patrouillieren müssten – eine Atmosphäre eklatanten Verfalls, genau das Richtige für desillusionierte Jugendliche.
    Einmal ging ich zu einem Discoabend ins Jugendzentrum, mit Jenny Ozu. Wir trugen lange Schals, Röhrenjeans und Haarspangen. Dort angekommen, verbrachten wir den Abend damit, an die Wand gedrückt schale Cola aus Pappbechern zu trinken, während Jungenhorden arhythmisch und die Arme wie Dreschflegel schwingend über den Tanzboden hüpften. Immer mal wieder kam so ein Knabe

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