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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Doughty
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wollte er etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders und setzte seinen Weg fort. Ich hinterher, in geringem Abstand.
    Er sagte etwas zu mir, doch der Wind riss ihm die Worte vom Mund, und ich verstand ihn nicht richtig; etwas über meine Küche.
    »Was?«, fragte ich laut.
    Mit gereiztem Gesichtsausdruck drehte er sich zu mir um. »Ich hab gesagt: Weißt du, Mädel, ein wenig merkwürdig ist es schon, dass du so scharf aufs Spülen bist, aber nie die Arbeitsflächen wischst.«
    »Hä?«, lachte ich.
    Er beugte sich vor, packte mich an den Armen und bog mich zurück. »Das findest du wohl komisch, wie?«, sagte er mit gespielter Drohgebärde.
    Gespielte Drohgebärde ging bei ihm für gewöhnlich dem Sex voraus. Sie war Vorspiel und ein Scherz unter uns beiden. Wenn ich mit ihm schlafen wollte, gab ich mich zum Spaß aufsässig, um ihn dazu zu provozieren.
    »Du und wessen Wehrsporttruppe?«, höhnte ich, lauter als der Wind.
    »Jetzt reicht’s!«, rief er. »Du bist der Fluch meiner alten Tage, jetzt geht’s ab mit dir!« Er drehte mir einen Arm auf den Rücken und brachte mich aus dem Gleichgewicht.
    Auch das war ein Scherz, den er schon oft auf unseren gemeinsamen Spaziergängen gemacht hatte: mich packen und zum Klippenrand schleifen. David hatte die Vorliebe seiner Tante Lorraine für handfesten Slapstick geerbt. So zu tun, als wollte er mich von der Klippe werfen, war ein Streich, von dem er nie genug bekam. Ihm machte es auch Spaß, mitten im Gespräch auf einen Jackenknopf von mir zu zeigen und mir dann einen Nasenstüber zu versetzen, wenn ich nach unten schaute. Das brachte mich immer zum Lächeln, ganz gleich, wie oft er es wiederholte. Als ich nicht mehr auf den Knopftrick reagierte, ließ er sich neue Kniffe einfallen, um mich zum Runterschauen zu bewegen, sagte mir, ich hätte einen Fleck auf meiner Bluse, stellte eine Frage nach meiner Brosche. Es entzückte ihn, wenn ich darauf reinfiel.
    Zuvor hatte ich oben auf dem Steilhang immer nur rasch genug vor Schrecken kreischen müssen, damit er aufhörte, doch an jenem Tag war etwas anders. Vielleicht hatte ich den Scherz schon einmal zu oft gehört, oder ich war einfach in aufsässiger Stimmung, nachdem er mich so lange vernachlässigt hatte, denn statt um Gnade zu kreischen, rief ich in den Wind: »Ich nehme dich mit in den Abgrund!« Ich wollte ihn provozieren, um zu sehen, wie weit er gehen würde, ihn nach seinem zweiwöchigen Schweigen aus dem Gleichgewicht bringen.
    Er zog mich ganz bis an die Klippenkante, wo sie steil aufragte und gefährlich überhing. Selbst da ließ ich ihn noch gewähren, dachte mir, es wäre noch der übliche Scherz, hätte nichts zu bedeuten – doch als wir am Rand ankamen und der erste Kitzel echten Schreckens in meinem Magen zitterte, machte er etwas, was er noch nie zuvor getan hatte. Mit einer flinken Bewegung seiner Arme und Schultern wirbelte er mich herum, packte mich von hinten, statt dass wir uns gegenüberstanden, umschlang mich mit beiden Armen auf Brusthöhe und klemmte mir die Arme an den Seiten fest. Er beugte sich vor, sodass auch ich mich vorbeugen musste – und ich konnte direkt über die Kante sehen, hinunter, wo die Wellen über dem Felsstrand aufstiegen und sich brachen und der braune Schaum unter uns aufspritzte. An diesem Küstenabschnitt lagen mächtige gezackte Betonbrocken zwischen den Felsen, vor Jahren dort abgeladen, um den Fuß der Klippen vor Erosion zu schützen. Sie waren groß wie Autos, mit bedrohlich aufragenden Ecken und Kanten. Wenn man an dieser Stelle in den Abgrund stürzte, war es aus mit einem. Der Schädel würde so leicht splittern wie eine Eierschale.
    Ich schrie vor Angst, vor echter Angst, in die Eiseskälte des Windes und der Luft, und ich schrie seinen Namen – während ich ohne jeden eigenen Halt, hilflos wie eine Marionette, nur mit seinem Körper hinter mir als Gegengewicht, über dem Abgrund hing. Ich konnte nicht glauben, wie leichtsinnig er sich aufführte. Unter uns krachten und brandeten die Wellen über die Betonblöcke, die an der Unterseite grau waren, aber schleimig von Grünalgen. Das Meer roch intensiv. Über uns kreischten Möwen im Sturzflug.
    »Angst?«, brüllte er mir ins Ohr. »Hast du Angst? Solltest du nämlich, L. D.!«
    »David! David!«, schrie ich. »O Gott, wir gehen über die Kante!« Er kannte die Klippen nicht so gut wie ich. Er schätzte den Überhang falsch ein. Zum ersten Mal ging mir auf, dass ein Funken reiner Wahnsinn in ihm glomm

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