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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Doughty
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ich zum Schreien fand; ich sagte, es höre sich an wie ein Schlagertext: Marmor, Stein und Felsen bricht. »Lach du nur«, sagte sie mit einem Kopfschütteln. »Aber die Leute in dem Häuschen dort oben fanden das gar nicht so komisch, nicht wahr?« Sie bezog sich auf ein Ereignis aus dem Jahr 1953. Ein Brocken hatte sich von der Felswand gelöst und die Hälfte des Häuschens, das darauf gebaut war, in die Tiefe mitgerissen. Danach war ein Foto in der Zeitung erschienen, das immer noch auf den Einbänden von Heimatgeschichtsbroschüren in der Bücherei zu sehen ist: die Schwarz-Weiß-Aufnahme – in den Blättern oft mit einem Sepiaton versehen – eines windschiefen Häuschens, dessen eine Außenwand fehlt, wodurch das Wohnzimmer den Elementen ausgesetzt ist: Stehlampe, Sofa, Blümchentapete. »Die Leute in dem Häuschen hatten nichts zu lachen.« Was das anging, waren die Besitzer ausgiebig vor der Gefahr gewarnt worden und hielten sich damals weit davon entfernt auf, aber für meine Mutter, die überall Gefahren witterte, war diese Bemerkung typisch. Eines Morgens hatte sie, als sie von ihren Frühstücksflocken aufsah, ihren Mann über den Küchentisch zusammensacken sehen, mit einundfünfzig Jahren einem Herzinfarkt erlegen. Von einem Moment, in dem sie Weetabix gegessen hatte – oder was auch immer meine Mutter zum Frühstück aß –, während ich in meinem Kinderwagen schlief und meine Milchfläschchen in einer Schüssel mit verdünnten Chemikalien sterilisiert wurden, zum anderen war sie Witwe geworden. Felsen bröckeln. Autos krachen zusammen. Äste geben nach, und Teppichbeläge auf Treppen werden tückisch glatt und rutschig unter kleinen, trippelnden Füßchen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie mich überhaupt zur Haustür hinausließ.
    Später, als sie krank war und ich sie pflegte, hatte sie keine andere Wahl. Einmal die Woche, wenn die Bezirkskrankenschwester kam oder wenn ein Nachbar vorbeischaute, zog ich meine alten Turnschuhe an, die mit den gerissenen Schnürsenkeln, und machte mich auf zum Steilufer.
    Felsen bröckeln. In der ersten Zeit unserer Beziehung gingen David und ich oft zu den Klippen. Unser erstes Zusammentreffen, an dem Parkbaum, sollte die Weichen stellen. Er mochte Sex im Freien – und zwar sehr. Freiluft war nie so ganz mein Fall gewesen, aber ich war so verrückt nach ihm, dass ich es wahrscheinlich auf einer Bank in der Füßgängerzone gemacht hätte, wenn er mich darum gebeten hätte.
    Unsere Spaziergänge am Steilufer kamen unser beider Bedürfnissen entgegen. Ich schritt weit aus, ließ den kalten Wind mein Gesicht betäuben, dachte an das Gefühl von Freiheit, das mich erfüllt hatte, als ich diesen Weg als Jugendliche gegangen war, und staunte, dass ich jetzt als Erwachsene hier war und Freiheit in einer genau entgegengesetzten Freude verspürte, dass ich, gefangen in meiner überwältigenden Besessenheit von David, meine Gefangenschaft liebte. Und wenn wir etwa eine halbe Stunde gegangen waren, hoch über der Stadt, freie Felder zu unserer Linken und den weiten grauen Ärmelkanal zur Rechten, drängte David mich hinter einen Felsen oder Zaun ab, und ich lachte und wehrte mich bis zu dem Augenblick, in dem mich seine Zielstrebigkeit zum Schweigen brachte, in dem ich vor der Intensität seines Begehrens verstummte und es mir so viel bedeutete, dass meins kaum noch zählte. Es gab wirklich nichts Besseres als die Minuten, in denen dieser Mann, den ich so sehr haben wollte, mich seinerseits umso mehr wollte.
    Er rief mich vierzehn Tage lang nicht an, woraus ich begreiflicherweise den Schluss zog, dass ich den Laufpass bekommen hatte. Eher aus Stolz als aus Vernunftgründen hielt ich mich davon ab, ihn selber anzurufen. Ich war fassungslos, dass er nicht einmal den Mut aufbrachte, mir am Telefon zu sagen, er mache Schluss mit mir – ich war wütend und mir in meiner Wut sicher, praktisch über ihn hinweg zu sein. Falls er doch noch irgendwann anrief, würde ich es schaffen, angemessen cool zu reagieren.
    Es war ein Samstagmorgen. Als das Handy in meiner Hosentasche vibrierte, wusste ich sofort, dass er am anderen Ende war. Niemand sonst würde mich an einem Samstagmorgen anrufen. Noch als ich das Handy aus der Tasche fischte und an mein Ohr hielt, spielte ich mit dem Gedanken, ihn auf die Mailbox sprechen zu lassen. »Dodgson, hey, Dodgson, ich bin’s …« Er nannte mich gern bei meinem Nachnamen, ein Überbleibsel aus seiner Schulzeit auf einem Jungengymnasium, wo er

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