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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Doughty
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gern gewesen war, nachdem er sich gegen die anderen durchgesetzt hatte, die ihn wegen seines Akzents verprügeln wollten. Er benutzte auch gern meine Anfangsbuchstaben. L. D. Ungläubig hörte ich mich selbst »Hi« sagen, in verführerisch-laszivem Tonfall, als rekelte ich mich gerade in Negligé und Pelzpantöffelchen auf meiner Récamière und zwirbelte eine Perlenschnur zwischen den Fingern.
    »Wie wär’s mit einem Spaziergang am Steilufer, Dodgson?« Ich warf einen Blick aus dem Fenster, an dessen zerbrechlichen Scheiben ein wüster Wind rüttelte. Gerade erst zurück von einem Ausflug zum Zeitungskiosk, hatte ich eine Tasse Kaffee und drei Kekse mit der Wochenendzeitung und der Gasheizung auf höchster Stufe im Sinn gehabt. Meinen Kapuzen-Fleecepulli und Parka hatte ich noch an. »Okay«, sagte ich, »geht klar.«
    Wir trafen uns am Ende der Uferpromenade, wo die Klippen hinter der Stadt hoch aufragten, in einem Neigungswinkel, der steil genug war, sehr junge und sehr alte Leute abzuschrecken – an so einem Tag würden wir das Steilufer für uns allein haben. David war zuerst da. Er trug seine große alte Wildlederjacke und eine Wollmütze. Der mittlere Jackenknopf baumelte an einem Faden und würde bald abreißen. Das war so, seit ich ihn kannte. Er sah blass und anziehend aus, ein wenig müde – nicht allzu dunkle Ringe unter den Augen. Wir sahen uns unverwandt an, während wir aufeinander zugingen, und ich hatte Zeit, mich bewusst und offen an dem zu weiden, was ich an ihm liebte, an diesem Mann – seine Undurchschaubarkeit, seine sprunghafte Mischung aus Stolz und Unsicherheit, eine Fähigkeit zum Versteckspiel, gepaart mit der Furcht, nicht gefunden zu werden. Hier war er, dieser Mann, mehr war da nicht, und sein Leben war mit meinem aneinandergeraten, obwohl wir einander so leicht hätten verfehlen können, und ich erkannte, dass ich ihn eben wegen und nicht trotz seiner Fehler liebte und dass ich ebenso wenig auch nur eine Handbreit davon ändern würde, wie ich diesen mittleren Jackenknopf je festnähen würde. Mir fiel ein, dass er mit einer anderen zusammen gewesen war, als wir uns das erste Mal begegnet waren – ich erinnerte mich an die Anrufe im Pub –, dass er nicht ehrlich zu mir gewesen war und sie abserviert hatte, vielleicht erst vor Kurzem, dass mir womöglich ein ähnliches Schicksal blühte und ich mich nicht darum scherte: Ich spürte die Sogwirkung und die Sturzgefahr in all dem und wusste, dass ich in größerer Gefahr steckte als je zuvor in meinem Leben.
    Er lächelte, als ich auf ihn zuging. Mein Magen flatterte. All die Vorwürfe, die ich im Lauf der vergangenen beiden Wochen angehäuft hatte, kamen mir kindisch und launenhaft vor. Er hielt mir seine Hand entgegen, als ich näher kam, und ich streckte meine aus. Mit meiner Hand fest in seiner zog er mich hinter sich her, während wir uns umdrehten und den Steilhang hinaufstiegen. Keuchend schritten wir weit aus, in Kleiderschichten gehüllt und vom Wind gebeutelt. Als ich den Mund aufmachte, nahm mir die kalte Luft den Atem. Der Himmel über uns war hart und fahl.
    Oben auf der Steilküste war man den Elementen ausgesetzt. Es gab keinen Zaun zwischen dem Weg und dem Abhang, und es war schon vorgekommen, dass dort Touristen abgestürzt waren; manchmal absichtlich, manchmal nicht. Auch wenn unser Küstenstreifen nicht so pittoresk wie manch anderer war, genossen wir doch den Ruf als beste Stelle weit und breit für Selbstmörder. Als David und ich höher hinaufkletterten, kamen wir zu dem Punkt, an dem die Klippe mit ausgefransten, vorspringenden Rändern überhing – das struppige Gras wuchs genau bis zur Kante, als hätte ein Hang beschlossen, mitten in der Luft abzubrechen. Weiter hinten wurde der Weg ebener, und man konnte über die Kante sehen, aber der erste, unregelmäßige Teil der Klippe war besonders gefährlich wegen des Überhangs. Zu unserer Linken lagen Felder. Schafe weideten auf der abschüssigen Böschung, die zum Fluss hinabführte; der eisige Wind zauste ihre schmutzig weißen Wollfelle. Zu unserer Rechten stieg der Erdboden steil an und brach unerhört abrupt vor dem Himmel ab.
    David schritt schwungvoll aus. Er hatte so lange Beine, dass wir nicht im Gleichschritt waren. Ich stolperte auf dem unebenen Gras, ließ seine Hand los und ging ein wenig auf Abstand, ohne etwas Bestimmtes damit zu bezwecken, ich wollte nur bequemer vorankommen. Er blieb stehen und sah mich an. Ich blieb auch stehen. Es schien, als

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