Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
geben, die David von ihnen machte, mit Chloe und dem Baby, Fotos, auf denen ich nicht vorkam.
Das letzte Foto wird eines davon sein, irgendwo auf Davids Computer. Ich habe massenhaft frühe, die in den Tüten, auf denen sie als Kleinkind mit kitschigen Pullis zu sehen ist, Geschenke der Tanten; feiste Ärmchen, Speckröllchen unterm Kinn. Wer hätte gedacht, dass sie sich mal zu so einem ranken, schlanken Mädchen auswachsen würde?
Ich sitze am Küchentisch, beide Hände um meine Teetasse gelegt. Hier ist meine Tochter mit sechs Monaten, in einem roten Rugbyshirt, wie sie jemanden außerhalb des Bildes angrinst. Hier ist sie mit vier, das Haar in einem strengen Pagenschnitt, noch mit rundem Bäuchlein unter dem T-Shirt. Sie winkt mit einer Gartenschere in die Kamera, aber den Garten hinter ihr erkenne ich nicht – bestimmt nicht unserer. Es wachsen Blumen darin.
Und hier ist sie vor Kürzerem, eine Bilderserie, die David bei der Feier zu ihrem neunten Geburtstag aufgenommen hat – er hat mir nicht nur die CD , sondern auch Abzüge der sechs besten Aufnahmen geschenkt. Ich bin mit ihr und ihren drei Freundinnen bowlen gegangen, und David kam nach der Hälfte der Zeit dazu. Rees durfte einen Freund mitbringen. Danach gingen wir alle Pizza essen. Das Foto in meiner Hand ist ein großer Hochglanzabzug von Betty mit Willow, Priya und Elinor, ihren drei besten Freundinnen. Im Hintergrund sieht man die Bowlingbahn – ein scheußlich düsteres, lautes Lokal. Sie rufen alle in die Kamera, weit aufgerissene Augen, leicht überdreht vom Lärm und Chaos um sie her. Betty und Willow klammern sich fest aneinander in einer dieser wilden, wonnigen Umarmungen, in denen Mädchen in dem Alter schwelgen, solange sie noch glauben, dass sie als Erwachsene zusammenziehen werden. Willow wollte Tierärztin werden, Betty Detektivin. Gemeinsam wollten sie Fälle spurlos verschwundener Tiere lösen. Bettys Haar ist verstrubbelt. Grinsend zeigt Willow mit erhobener Hand auf ihr eigenes Gesicht mit der neuen Brille, auf die sie maßlos stolz war. Wie schön sie sind und trunken vor Freude über die Feier und ihre überschwänglich erwiderte Freundschaft: Die Vergangenheit war etwas, das sie sich erst noch zulegen würden, und die Zukunft, das waren Pizza und Eis am anderen Ende der Straße, zehn Minuten zu Fuß. Ihre Leben waren nichts als die glorreiche, prallvolle Gegenwart. Vier Monate hatten sie da noch zu leben.
Am Freitag fährt mich Julie zu Sallys Haus. Von David habe ich ihr ausrichten lassen, dass ich mich nicht in der Lage fühle, so kurz nach Bettys Beerdigung zum Krematorium zu gehen, aber dass ich gerne zu ihnen nach Hause kommen würde; er übermittelt mir ihr Einverständnis. Julie bringt wie üblich die Jungs in den Kindergarten, fährt zum Krematorium und kommt dann wieder, um mich abzuholen.
»Wie war es?«, frage ich, während ich auf den Beifahrersitz steige und mich anschnalle.
Sie schüttelt den Kopf. Ihr Gesicht wirkt verhärmt. Zum ersten Mal frage ich mich, was diese Tragödie mit ihr und anderen Menschen wie ihr in unseren Leben anrichtet, Menschen, die es auf sich nehmen, normal weiterzufunktionieren, und sich dabei schuldbewusst fühlen, weil es sie zu sehr belastet, deren Leben aber auch beeinträchtigt ist, aus der Bahn geworfen von den Ereignissen. Die restliche Fahrt über reden wir kein Wort. Das Auto stellen wir in der Nachbarstraße von Sallys ab – ihre Straße ist voll. Während sie die Autotür abschließt, sagt Julie: »Ich hol die Jungs zur gewohnten Zeit ab und nehme Rees mit zu uns. Bleib du nur, so lange du magst.«
Ich hole tief Luft, während wir die Steinstufen zu Sallys Haustür hinaufgehen, aber uns macht ein Verwandter auf, den ich nicht kenne, ein Mann mittleren Alters, der wie auswendig gelernt aufsagt: »Danke, dass Sie gekommen sind.« Zu meiner Erleichterung räumt er mir keinen Sonderstatus ein. Drinnen nimmt uns ein junges Mädchen die Mäntel ab. Sie erfasst die Vorgänge arglos, schenkt uns ein breites Lächeln, ehe sie auf dem Absatz kehrtmacht und die Treppe hinauftrottet, um die Mäntel im Schlafzimmer abzulegen. Der Grundriss von Sallys Haus ist spiegelverkehrt von unserem, das gleiche viktorianische Reihenhaus, nur andersherum und viel schicker, nichts als Buntglasfenster und abgezogene Dielen, Unmengen gerahmter Fotos ihrer Kinder an jeder verfügbaren Wand. Vom Flur kann ich bis in die Küche sehen, die sie im Jahr zuvor erweitern ließen. Sie ist lichtdurchflutet, voll
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