Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
Er gehört bestraft.«
Ich starre ihn an, habe das Gefühl, dass er weiter ausholen wollte, dass mein entsetzter Gesichtsausdruck ihn aber zum Schweigen gebracht hat.
»Es tut mir leid«, wiederholt er und wendet sich ab.
Ich blicke an ihm vorbei auf Ranmali. Ihr stehen noch die Tränen in den Augen, die so zum Überlaufen voll aussehen, dass ich mich wundere, warum keine Träne fällt. Sie sieht erst ihren Mann, dann mich an und schüttelt schließlich den Kopf. Ich weiß nicht, ob sie damit sagen will, dass ihr Mann sich täuscht, vielleicht sogar ein wenig verrückt ist, und ich seinen Worten keine Bedeutung beimessen soll, oder ob sie einfach ausdrücken will, wie verkehrt das alles ist, die ganze Situation. Sie dreht sich um, macht die Tür hinter sich auf und redet mit scharfem Ton in einer anderen Sprache auf ihren Mann ein. Er schaut nicht mehr in meine Richtung, als er geht.
Meine Hand liegt noch auf dem gedrechselten Holzknauf am Ende des Geländers. Ich lasse mich rücklings fallen und setze mich auf die unterste Stufe. Dort stütze ich den Kopf in beide Hände, unfähig, diese Information zu verdauen. Heute Morgen bin ich noch so gut zurechtgekommen. Es ist mir gelungen, eher an Willow als an die Tatsache zu denken, dass Betty nicht da ist. Betty hätte sich von ihrer besten Freundin verabschieden wollen. Warum ist Betty nicht hier? Ich erkenne, dass der kleine Fortschritt, den mein Besuch für mich bedeutet hat, eine Illusion war. Es hat mir eine große Willensanstrengung abverlangt herzukommen, doch ich hatte dabei das Gefühl, als hätte ich zum ersten Mal seit dem Unfall eine kurze Auszeit von meiner Trauer nehmen können – ermöglicht nur durch die frischere Trauer anderer. Aber Ranmalis Mann hat mir in Erinnerung gerufen, dass meine eigene Tragödie mich erwartet, sobald ich meine Gedanken wieder gesammelt habe. Sie war nur vorübergehend verlegt, wie der Mantel, den ich nicht auftreiben kann. Ich werde sie mir wieder überstreifen, bevor ich das Haus verlasse.
Er gehört bestraft. Ich weiß nicht einmal seinen Namen.
Aus dem Wohnzimmer höre ich Stühlerücken. Die Tür geht auf, Stimmengewirr dringt in den Flur. Ich nehme allgemeine Unruhe innen im Haus wahr, Menschen in Aufbruchstimmung, und stehe von der Treppenstufe auf. Sallys Mutter, Willows Großmutter, kommt als Erste heraus und zuckt kaum merklich zusammen, als sie mich sieht. Weil ich weiß, dass sie etwas sagen will, und ich nichts mehr verkraften kann, komme ich ihr zuvor und sage: »Mrs. James. Ich werde jetzt gehen.« Ich fühle mich alt, so alt wie die Klippen. Und müde. So hundemüde.
Mrs. James schaut sich um. »Fährt David Sie nach Hause? Oder haben Sie Ihr Auto?« Sie ist eine jener Frauen, die sich dazu berufen fühlen, jeden zu bemuttern, denke ich, selbst inmitten ihrer eigenen Tragödie.
»Nein, ich gehe zu Fuß.« Ich sehe sie den Flur entlangblicken, nach jemandem Ausschau halten, dem sie auftragen kann, mich nach Hause zu fahren. »Ich brauche frische Luft.« Meine Stimme ist ein bisschen lauter als unbedingt nötig.
Sie erwidert meinen Blick. »Aber natürlich«, sagt sie sanft. Plötzlich bewegen wir uns zu meiner Überraschung aufeinander zu und umarmen uns. Minutenlang stehen wir so im Flur, während an den Wänden um uns her die Fotos ihrer toten Enkelin aufleuchten, und ein Weilchen, nur ein kleines Weilchen, empfinde ich etwas wie Trost. Dann löse ich mich aus ihren Armen. »Mein Mantel …«, sage ich mit schwacher Stimme. »Er ist die Treppe rauf«, als wäre er ausgebüxt wie ein aufsässiges Kind.
»Ich hole ihn Ihnen, meine Liebe.«
»Es ist der …«
»Ja, ich weiß. Ich habe Sie gesehen, als Sie von draußen reingekommen sind.«
Ich mache Platz, und sie geht langsam die Treppe hoch, ein wenig arthritisch, hält sich am Geländer fest. Meine Erschöpfung hat sich nicht gelegt, und obwohl ich von niemandem gefahren werden will, am allerwenigsten von David und Chloe, ist mir erst recht nicht danach, zu Fuß nach Hause zu gehen. Meine Beine sind wie Blei. Bei dem Gedanken, dass Mrs. James in ihrem hohen Alter und mit all ihrem Kummer die Flinkere von uns beiden ist, wie sie so die Treppenstufen nimmt, um meinen Mantel suchen zu gehen, seufze ich tief.
Mrs. James bleibt lange weg. Immer wieder gehen Leute an mir vorbei, sehen mich an und schauen gleich wieder weg. Als sie die Treppe hinabsteigt, kann ich es kaum noch erwarten wegzukommen und sehne mich nun tatsächlich ernsthaft nach frischer
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