Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
verbohrt habe oder einfach nur zu stolz bin, oder eine furchtbar lästige Kombination von beidem. Vielleicht denken sie, ich verhielte mich so, um es ihnen schwer zu machen, weil ich ihnen den Erfolg nicht gönne. Ich habe keine Lust, ihnen zu erklären, dass man eine glühende Abneigung gegen Langzeitmedikationen entwickelt, wenn man dem Verfall der eigenen Mutter nach jahrelanger Dopamineinnahme zugesehen hat. Außerdem bin ich zu einer neuen Erkenntnis gekommen. Jeder glaubt, ich wäre endlich zusammengebrochen, nachdem ich viele Wochen zurechtkam; aber ich weiß, dass es genau umgekehrt ist.
Schließlich schicken sie David rein.
Ich sitze im Aufenthaltsraum, als er eintrifft. Kaum ist er zur Tür herein, verkünde ich, dass sie meiner Entlassung zugestimmt haben. Ich wurde als Notfallpatientin eingeliefert, bin jetzt aber auf freiwilliger Basis hier. Sie haben mir vorgeschlagen zu bleiben, aber widerstrebend zugestanden, dass ich gehen darf.
David sieht aus, als hätte er Schmerzen. Er zieht sich einen unbequemen Plastikstuhl heran und setzt sich neben mich. Ich sitze in einem hohen orthopädischen Sessel, so konstruiert, dass sich gebrechliche Menschen leicht daraus erheben können. Er kommt mir vor wie ein Thron. Im Aufenthaltsraum riecht es unverkennbar nach Zigaretten, obwohl Rauchen hier verboten ist. In der hinteren Ecke sitzt ein älterer Mann in ebenso einem Sessel und führt Selbstgespräche. Die meiste Zeit sind seine Worte bloß Gemurmel, nur ab und zu brüllt er einen Satz, der verrät, dass er sich mit einer längst verstorbenen Ehefrau streitet.
David kommt mir jedes Mal, wenn ich ihn sehe, weiter gealtert vor – doch wenn dem so wäre, würde er mittlerweile uralt aussehen. Vielleicht liegt es nur daran, dass ich zwischendurch vergesse, wie alt wir beide mittlerweile sind, und es mich jedes Mal erschreckt, daran erinnert zu werden. Ich sehe ihn an und fühle mich emotionsleer – nein, nicht leer, aber mein Gefühl für ihn ist nur noch ein Hintergrundgeräusch, eine verwässerte, dumpfe, sinnlose Aggression. Ich würde jederzeit lieber mit Toni als mit ihm reden. Er legt die Hand auf die Armlehne meines Polstersessels. »Schau mal, ich weiß, dass du unbedingt nach Hause möchtest. Du kannst es sicher kaum erwarten, Rees wiederzusehen.«
Bei Rees’ Namen durchzuckt es mich schmerzhaft. »Wie geht es Rees?«, frage ich. Ich will nicht, dass er mich auf der Station sieht. Das würde ihm Angst machen.
David zieht ein Gesicht, das Geht schon, irgendwie besagt. Rees wird der Aufenthalt bei seinem Vater nicht traumatisieren. Er war vorher schon oft genug da. Wenigstens bekommt er regelmäßige Mahlzeiten und Ablenkung geboten.
David schneidet eine Grimasse. Ich kenne dich so gut, denke ich, und ich weiß, dass du auf etwas hinauswillst.
»Laura«, sagt er. »Du hast die Tür offen gelassen.«
Ich betrachte seine Hand auf der Armlehne meines Sessels und denke, da hat er sie als Ersatz dafür hingelegt, sie auf meinen Arm zu legen. Er umklammert den Sessel. Und schaut zu Boden. Hinten in der Ecke ruft der alte Mann: »Flittchen! Hure! Fotze!« Eine Pflegehelferin kommt mit einer Gießkanne herein und füllt das Wasser in der Vase mit schlaffen Tulpen auf dem Fensterbrett nach.
»Als du in der Nacht aus dem Haus gegangen bist«, fährt David fort, »hast du die Haustür offen gelassen. Jeder hätte hereinspazieren können. Rees hat oben geschlafen, Laura. Er ist nicht aufgewacht, und die Polizei hat mich geholt, ich war also da, als er am Morgen wach wurde, aber was, wenn er aufgewacht wäre? Laura …«
Da ist es wieder, das schmerzhafte Zucken bei dem bloßen Gedanken an Rees, daran, wie unverzeihlich ich ihn im Stich gelassen habe, nicht bloß in jener Nacht, sondern seit mir Betty entrissen wurde. Etwas in mir klappt zusammen, und ich gerate in finsterste mütterliche Panik – kurz schließe ich die Augen und unterdrücke das Gefühl. Ich kann mir nicht erlauben, Rees zu lieben, auch nur an ihn zu denken, das darf nicht sein, sonst wird die Trennung von ihm unerträglich. Seufzend sehe ich meine Hände an und zupfe an etwas rauer Haut um meinen rechten Daumennagel. Aber es ist doch niemand reingegangen , möchte ich zu David sagen. Rees ist nicht aufgewacht. Rees geht es gut. Es geht ihm gut bei dir und Chloe.
David holt Luft und sagt: »Ich möchte, dass du Rees eine Zeit lang bei uns bleiben lässt, nur ein Weilchen, Laura. Ich kann ihn auf dem Weg zur Arbeit in den Kindergarten
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