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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Doughty
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sie von den Türschwelle aus anlächeln und über Betty sagen: »Sie hat Ähnlichkeit mit dir.« Bevor wir die Treppe wieder hinuntergingen, würde er mich auf dem Treppenabsatz anhalten und zögernd umarmen, mir vorsichtige, sanfte Küsse auf den Mund geben, die sich anfühlten, als knabberte er mich an. Der nachfolgende Sex – nicht in derselben Nacht, sondern ein paar Wochen später – wäre eher befriedigend als weltbewegend. Wir würden dicke Freunde werden. Nach ein paar Monaten würden wir anfangen, zaghaft vortastend über Zusammenziehen zu reden, und dann vielleicht ein Kind kriegen, damit wir am Ende zwei von mir, zwei von ihm und ein gemeinsames hätten. Alle um uns herum würden einen kollektiven Seufzer der Erleichterung ausstoßen.
    Das logische Grundprinzip dieses Szenarios leuchtete mir ein – ich konnte bewundern, wie hübsch ordentlich sich alles darin fügte, weshalb ich lieber in der Hölle schmoren als daran teilhaben wollte. Aber ich konnte auch erkennen, dass einem Großmut mehr Pluspunkte einbrachte, als in der Opferrolle zu verharren.
    Versuchsweise probierte ich aus, Chloe beim nächsten Zusammentreffen fröhlich zu begegnen; das war vor ihrer Haustür, als ich die Kinder abholen kam.
    »Hallo, wie geht’s?«, war alles, was ich sagte, als sie die Tür aufmachte. In der ersten leichten Überraschung, dass sie und nicht David zur Tür kam, gelang es mir, kurz angebunden, aber höflich mit ihr umzugehen. Ich fragte mich, ob David sie überredet hatte, mir aufzumachen, oder ob es ihre Idee gewesen war.
    Sie warf mir einen zögerlichen Blick zu, dem ich anmerkte, sie hatte sich an die Vorstellung gewöhnt, dass ich zum Fürchten und Bemitleiden war, und versuchte herauszubekommen, was sich hinter meinem freundlichen Gebaren verbarg. »Gut«, antwortete sie mit einem Blick über die Schulter, um zu sehen, ob die Kinder kamen.
    Am anderen Ende des Flurs kniete David vor Rees und knöpfte ihm die Jacke zu. Er redete leise in ihrer eigenen kleinen Mundart auf ihn ein, seinem Englisch mit starkem Akzent und dem einen oder anderen eingeflochtenen walisischen Wort. Rees war verrückt danach. Er konnte mit den urigsten Walisern mithalten. Dann schaute er sich um und entdeckte mich. »Mum!« Er riss sich von seinem Vater los, der sich mir zuwandte und die Hand zum Gruß hob. Rees und Betty stürmten beide wortlos an Chloe vorbei und warfen sich in meine Arme.
    »Was sagt ihr zu Chloe?«, fragte ich, während ich sie umarmte. Ich sah sie an. Sie setzte zaghaft ein verwirrtes Lächeln auf.

    Drei Tage später bekam ich wieder einen Brief. Dieser kam in einem billigen, gelben Umschlag, wie man sie von Packungen mit Mitteilungs- und Grußkarten kennt, die man in Schreibwarenläden kaufen kann, wo es auch Ballons und überdimensionale Teddybären gibt. Auf dem Umschlag stand gar nichts, nicht einmal meine Initialen, und das ärgerte mich, weil beide Kinder zu Hause waren, als der Brief ankam, und eins von beiden ihn leicht hätte aufheben und öffnen können. Er sah aus wie etwas, das jemand aus ihrem Freundeskreis verschicken könnte. Zum Glück spielten sie gerade in Rees’ Zimmer miteinander, irgendein lautes Spiel, bei dem man sich anschreien musste. Ich glaube, sie spielten Schuldirektor.
    Der Umschlag war nur teilweise zugeklebt, was den Eindruck vermittelte, dass er hastig verschlossen worden war. Drinnen steckte ein gefaltetes Blatt liniertes Papier, grob von einem Notizblock gerissen. Dies war der erste handschriftliche. Ich faltete ihn auf. Er bestand aus einem Wort in regelmäßigen, nach rechts geneigten Großbuchstaben: GRATULIERE .
    Ich hörte Füßepoltern über mir und steckte den Umschlag mit dem abgerissenen Blatt Papier in meine Strickjackentasche.
    »Mami, was ist das?«, fragte Klein Adlerauge Betty, am Fuß der Treppe angelangt. Mit vor Erklärungsnot trockenem Mund wandte ich mich ihr zu, wurde jedoch von Rees gerettet, der die letzten drei Stufen mit dem Ruf »Attacke!« nahm und Betty in den Rücken sprang. Als der daraus resultierende Streit geschlichtet war, hatte Betty vergessen, dass sie etwas Gelbes hatte hervorblitzen sehen.
    Den ganzen restlichen Nachmittag behielt ich die Botschaft in meiner Jackentasche, wo sie vor sich hin schmorte. Während ich mich beim Abendbrotmachen in der Küche hin und her bewegte, raschelte sie leise. Beim Essen vergaß ich sie, erst als ich auf der Suche nach einem Taschentuch zerstreut mit der Hand in die Tasche fuhr, stießen meine Finger

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