Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
mittlerweile waren Jeans angesagt, nicht mehr die Kleider und Strumpfhosen, die sie noch vor kaum einem Jahr so heiß und innig geliebt hatte. Rosa war gerade noch in, obwohl andere Mütter mich schon gewarnt hatten, dass sie nun von heute auf morgen jedwedes rosafarbene Kleidungsstück aus ihrer Garderobe verbannen und verkünden konnte, Rosa sei was für Babys. Jedes Mal, wenn sie ihren Kopf zu mir drehte, peitschten die langen, feinen Haare ihr Gesicht. An dem Morgen hatte ich ihr einen Pferdeschwanz binden wollen, doch sie hatte sich geweigert. Sie ignorierte Chloe vollständig; so unhöflich war sie sonst nie.
Nach einer Weile schaute David ziemlich plump, wie mir schien, auf die Uhr und sagte: »Na, dann müssen wir wohl los. Wir werden vierzig Minuten für die Fahrt brauchen.«
»Und was hast du so vor?«, fragte mich Chloe.
Ich sah sie verständnislos an. Was ich vorhatte? Bis mir aufging, ach ja, ich hatte ja den Nachmittag für mich allein. Weiter als bis zu diesem Treffen hatte ich noch nicht gedacht. Eine Vielzahl von Antworten fiel mir ein. Tja, da ihr zwei verlogenen Kröten mit meinen Kindern abzieht, werde ich vielleicht einfach ins Meer gehen und mich ertränken – oder vielleicht: Ich hab einen Lover, der in der Imbissbude arbeitet. Ich hab mir gedacht, ich geh da jetzt mal hin und vögel ein paar Stunden mit ihm.
Ich sah zum Strand runter. In der Ferne spazierten zwei ältere Pärchen, ein paar Hundebesitzer waren draußen. In Augenblicken wie diesen wäre ein Hund praktisch, dachte ich.
»Vielleicht spazieren gehen«, ließ ich lahm verlauten. »Mir etwas Bewegung verschaffen.«
Während wir alle von unseren Stühlen aufstanden, fegte eine plötzliche Windböe heran, unsere fast leeren Styroporbecher kullerten vom Tisch, und aus jedem spritzten ein paar Tropfen Flüssigkeit in unterschiedlichen Brauntönen. Mit einem verlegenen kleinen Lachen schnappte Chloe sich ihren Becher, drehte sich um und rannte ein paar Schritte über den Strand hinter meinem her.
Während sie uns den Rücken zukehrte, sah David mich fest und dankbar an. Ich fragte mich, ob er wohl mit einer Szene gerechnet hatte.
Als ich gerade dem widerspenstigen Rees einen Schal um den Hals wickelte, kam Chloe zu uns zurück. Kaum war ich damit fertig und stopfte ihm die Enden in seine Jacke, zog er sie schon wieder raus und wickelte sich den Schal ab. »Er will keine Mütze aufsetzen«, sagte ich.
»Müssen sie beim Inlineskaten einen Helm tragen?«, fragte Chloe David.
Er zuckte die Schultern.
»Also, ich setz bestimmt keinen auf«, murrte Betty.
»Sieh lieber zu, dass sie was in den Magen kriegen, sobald ihr da ankommt«, sagte ich und richtete die Bemerkung bewusst nur an David. »Unterzuckert. Kümmer dich drum, dass sie erst was essen.«
»Da wird es bestimmt was geben«, sagte David.
Ich bückte mich und küsste meine Kinder. Betty drückte sich an mich, mit einem Mal keine schmollende Vorpubertierende mehr, sondern eine schüchterne, traurige Achtjährige, die sich von ihrer Mutter verabschiedete. »Ich will nicht mit«, murmelte sie in meine Mantelfalten, einen Frosch im Hals.
Mein schlechtes Gewissen und mein Bedürfnis, sie zu beschützen, übermannten mich. Da hatte ich die ganze Zeit nur an mein eigenes Drama gedacht, während sie und ihr Bruder in alledem die Hauptrollen hatten. »Schon gut«, flüsterte ich ihr sanft zu, »alles in Ordnung mit mir. Ihr werdet sicher Spaß haben. Und mit mir ist alles bestens, versprochen. Los jetzt. Ab die Post.«
»Tschüss, Mum. Hab dich lieb«, flüsterte sie.
»Ich dich auch.«
Ich sah zu, wie sie zu viert den Strand entlanggingen. Rees an der Hand seines Vaters, Betty ein wenig abseits. Ein Weilchen setzte ich mich wieder an den Tisch, bis ich feststellte, dass ich nicht in der Stimmung war, alleine herumzusitzen. Schließlich würde ich ab jetzt an den Wochenenden noch reichlich Gelegenheit dazu haben. Ich stand wieder auf, mein Gesicht dem Wind, der weit geschwungenen Bucht zugekehrt, und stapfte über die Kiesel. Überall auf meinem Weg lag schwarzer Seetang, während ich zum Meer, einem braunen, schäumenden Grummeln, hinabstieg. Das Knirschen meiner Stiefel auf den Steinen klang laut in meinen Ohren.
Nicht lange nach ihrem neunten Geburtstag saßen Betty und ich eines Sonntagmorgens zu zweit am Küchentisch. Rees war beim Fußballtraining. Nur ich und mein Mädchen. Es war Herbst, und die Küche war von milder, blasser Sonne erfüllt, ein Honiglicht. Betty
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