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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Doughty
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schrieb als Hausaufgabe einen Aufsatz, an dem sie schon eine ganze Weile saß. Ihre Lehrerin, eine Mrs. Cavanagh, war streng. Betty mochte sie. Sie stellte gern Autoritätspersonen zufrieden.
    Ich saß am Tisch und blätterte in Bekleidungskatalogen, aus denen ich mir nie etwas bestellte, deren Inhalt jedoch einer Prüfung unterzogen werden musste, bevor sie weggeworfen werden konnten, nur um mir selbst zu bestätigen, dass ich nie im Leben etwas davon kaufen würde. Irgendwie war ich auf eine Verteilerliste für Frauen reiferen Alters geraten und schien Unmengen von Katalogen zu erhalten, die Hosen mit elastischem Bund anpriesen. Ich sah sie mir gern an, weil sie mein Selbstwertgefühl aufbesserten. Als Models verwendeten sie schlanke junge Mädchen mit Frisuren und Make-up wesentlich älterer Frauen. Sie lächelten zwar, aber mit angespannten Gesichtern, als sähen sie sich um und dächten: Wie bin ich nur hierhergeraten? Ich bin im falschen Shooting gelandet. Und was hab ich da an ? Igitt .
    Gerade betrachtete ich ein besonders schauderhaftes Twinset, als Betty, ohne den Kopf zu heben, sagte: »Mu – um …«
    Ich blickte zu ihr hin. »Ja?«
    Sie hörte mit dem Schreiben auf und sah nach oben in eine Zimmerecke, stirnrunzelnd, als hätte sie soeben ein Spinnennetz entdeckt. Diese Haltung nahm sie immer ein, wenn ihr eine große Frage auf der Seele brannte.
    Ich machte mich auf alles Mögliche gefasst. Warum hat Dad dich nicht mehr lieb gehabt ? In letzter Zeit hatte ich lauter solche Fragen zu beantworten gehabt. Wie kommt der Samen in den Bauch von der Mami? Die hatten wir schon abgehakt. Willow sagt, sie hat ein Vogelnest in sich drin und dass wir alle eins haben müssen, sonst können wir keine Frauen sein. Daran hatte ich länger zu knabbern gehabt. Ich kam nur darauf, als ich bei Sally nachfragte, die Willow die Menstruation anhand der Zeichnung eines Frauentorsos erklärt und gesagt hatte, der Körper einer Frau bereite sich immer darauf vor, ein Baby zu bekommen, und baue dafür ein Nest, genau wie ein Vogel, nur dass das Nest aus Flüssigkeit bestehe, um das Baby weich wie auf einem Kissen zu betten. Einmal im Monat merke der Bauch von der Mami, dass noch kein Baby unterwegs sei, also lasse er die Flüssigkeit auslaufen und fange an, neue aufzubauen. Ich fand den Vergleich eigentlich ganz passend, viel stimmiger als das, was meine Mutter mir erzählt hatte: »Der Schoß ist traurig, dass er kein Baby gekriegt hat, und weint!« Willow hatte ihren Klassenkameradinnen allerdings eine nicht ganz so stimmige Variante dieser Geschichte aufgetischt, worauf nun alle dachten, wenn man groß werde, wüchsen einem Zweige und Äste im Bauch. Betty hatte wissen wollen, ob das wehtun würde.
    Betty hatte schon immer einen Hang zum Philosophieren gehabt. Mit zwei oder drei Jahren lautete einer ihrer ersten an mich gerichteten Sätze: »Ich kann meine Augen nicht sehen.« Und zwar in ebenso nachdenklichem wie feststellendem, nicht etwa fragendem Tonfall.
    Als sie also auf diese gewundene Art mit »Mu – um …« ansetzte, erwartete ich etwas in dieser Richtung. Woraus besteht das Weltall?, oder: Wo war ich, bevor ich zur Welt gekommen bin?
    Stattdessen fragte sie ernsthaft: »Wenn ein Tintenfisch von einer Feuerqualle verbrannt wird, macht ihm das was aus?«
    Betty, du warst erst neun. Du warst weder meine Verbündete noch mein Engel noch meine Freundin. Du warst ein Kind. Meine Aufgabe war es, dich zu beschützen. Ich habe versagt.

12
    Bei dem üblichen Verlauf solcher Geschichten hätte jener Moment – als ich Chloe begegnete und erkannte, dass sie kein Ungeheuer war – der Wendepunkt sein müssen, an dem ich ein neues Leben anfing oder mir wenigstens eine neue Frisur zulegte. Ich hätte anfangen sollen, mit Freundinnen auszugehen, den Tanzkurs zu besuchen, von dem mich meine Fixierung auf David vor all den Jahren abgehalten hatte. Nach ein paar Monaten würde ich einen Mann in ähnlicher Lage kennenlernen, noch mitgenommen nach der kürzlich erfolgten Trennung von seiner Frau. Er würde in einer Wohnung in der Stadt wohnen, und das erste Mal, wenn ich ihm bei mir zu Hause ein richtiges Abendessen kochen würde, bekäme er feuchte Augen und würde sich des Langen und Breiten darüber auslassen, wie schwer ihm die Trennung von seinen Kindern fiele. Später würde ich ihn mit nach oben nehmen, mit leisen Schritten über die knarzenden Holzstufen, um ihm meine beiden in ihren Betten schlafend zu zeigen, und er würde

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