Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
der Nachbarin geredet. Sie hat mir gesagt, dass sie Harry jedes Mal schreien hört, wenn sie an unserem Haus vorbeigeht. Die führt ständig ihren Hund aus, diese Nachbarin. Jedes Mal hat sie ihn gehört. Ich hab Chloe danach gefragt, und die ist total ausgerastet und hat wer weiß was über die arme Frau gesagt. Du glaubst nicht, was für Schimpfwörter sie benutzt hat. Und danach fing sie mit der Heimlichtuerei an.«
Er unterbricht sich und stützt den Kopf in beide Hände.
Ich denke daran, wie ich ihm damals von Chloes Anrufen erzählt habe und wie vehement er darauf bestand, dass sie zu so etwas nie fähig wäre. Und dass ich ihm die Briefe gar nicht erst gezeigt habe, weil er so von ihrer Unschuld überzeugt war. Ich beiße mir auf die Zunge. Glaubst du mir jetzt?, möchte ich sagen. Sollen wir eine kurze Pause machen, um dir Zeit zur Ausformulierung deiner Entschuldigung zu geben?
Er schaut auf, sieht völlig fertig aus. »Einmal hat sie mich in der Firma angerufen. Harry war ungefähr vier Monate alt. Sie hat gesagt, ich geb dir eine halbe Stunde, um herzukommen, sonst tue ich dem Kind was an. Dann hat sie aufgelegt.«
»O Gott …«
»Ich bin hingefahren, so schnell ich konnte. Sie war oben, unter der Bettdecke. Harry lag schreiend in seinem Bettchen. Die Tür zu seinem Zimmer war zu. Als ich zu ihr reinging, wollte sie nicht aus dem Bett heraus. Sie war komplett angezogen, aber sie wollte nicht aufstehen.«
»Du musst sie dazu bringen , dass sie Hilfe annimmt, zu einem Arzt geht, dich wenigstens drum kümmern, dass sie ein Medikament verschrieben bekommt.« Die Ironie dieser Bemerkung entgeht mir nicht.
»Ich weiß, du lieber Himmel, Laura, ich war schon viel weiter. Ich hatte einen Termin bei Dr. Calder. Ich hatte Angst, zur Arbeit zu gehen. Alles sollte gerade besser werden, da ist das passiert.«
Wie ich sehe, hat der Kellner von uns beiden unbemerkt noch eine Flasche Bier auf den Tisch gestellt. Ich packe den Flaschenhals und stoße das Zitronenscheibchen mit dem Finger hinein. Ich weiß nicht, was ich denke oder fühle. Ein paar Minuten lang habe ich nicht an Betty gedacht, deshalb fühle ich mich schuldig und bin verwirrt. Alle meine Annahmen über Chloe und ihr gemeinsames Leben muss ich neu ausrichten. Trotz der anonymen Anrufe und Drohbriefe habe ich nämlich immer angenommen, dass sie glücklich sind. Wie auch nicht – wie konnten sie es wagen, nicht glücklich zu sein, nachdem sie sich ihr gemeinsames Leben zu einem so hohen Preis erkauft hatten? Ich mache mir so meine Gedanken über diesen nagelneuen Bungalow. Lauert das Chaos hinter den Schranktüren? Macht sie es so? Ich hatte immer angenommen, sie hätte ihr manipulatives Verhalten für mich reserviert, doch nun stellt sich heraus, dass ich nur ein Symptom war. Alle Puzzleteile passen zusammen, und auch wenn es kein schöner Zug von mir ist, empfinde ich unwillkürlich Genugtuung – alles, was David mir erzählt, passt zu den Anrufen und den Briefen und dazu, wie sie sich immer bemüht hat, so lieb und unschuldig zu wirken. Als er aus unserer Ehe ausbrach in der Vorstellung, einer unbeherrschten, eifersüchtigen Ehefrau zu entkommen, ist er vom Regen in die Traufe geraten. Weil mir durchaus klar ist, wie geschmacklos dieser Gedankengang unter den gegebenen Umständen ist, spreche ich ihn nicht aus.
Moment mal. Ich beuge mich vor. »Willst du mir etwa erzählen, dass du sie bei alledem, was da vorgeht, einfach so mit Rees allein gelassen hast? Sie hat eine postnatale Psychose und kümmert sich um mein Kind?!« Mörderische Wut steigt in mir hoch. Am liebsten würde ich auf der Stelle dorthin fahren und sie anbrüllen, dass ich ihr, wenn sie meinen Sohn auch nur halb so arg vernachlässigt wie ihr eigenes Kind, den dämlichen, geistesgestörten kleinen Kopf abreiße.
In Davids Blick flackert kurz Entsetzen auf, dann fängt er sofort an zurückzurudern. »Nein, nein, es geht ihr viel besser, seit, seit wir Betty verloren haben, ich meine, sie gibt sich wirklich große Mühe. Ich weiß, das hört sich irgendwie furchtbar an, wie ich das gerade gesagt hab, aber offenbar hat es sie ein bisschen aus ihrem Tief rausgezogen. Sie hat sich echt reingehängt, um mir zu helfen, sie ist ja kein Schwachkopf. Ich mach mir halt nur Sorgen, wie es auf lange Sicht sein wird. Ich hab so das Gefühl, dass alles andere noch da ist, nur unterdrückt. Wie lange hält sie das durch?«
Aber ich weiß, dass sie nicht richtig tickt. Ich weiß es, weil ich
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