Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
dröhnen. Tony Kinross hatte offenbar beschlossen, doch zum Fischen hinauszufahren. Alles um Emily herum vibrierte. Ihr wurde übel bei dem Gedanken, ein paar Stunden hier unten eingesperrt zu sein – wenn Kinross sie nicht vorher entdeckte, was ziemlich wahrscheinlich war.
Ganz langsam drückte sie die Luke auf und schaute nach draußen. Sie konnte den Fischer durch das große Fenster seiner Kajüte sehen. Er saß mit dem Rücken zu ihr am Steuerstand. Wieder trug er seine rote Arbeitsjacke. Als er sich zum Radar hinüberbeugte und seinen Monitor aufflimmern ließ, wusste Emily, dass es gleich losgehen würde.
Schnell schätzte sie die Entfernung bis zur Pier ab. Wenn sie schnell genug war, konnte sie es noch schaffen.
Doch es war zu spät. Bebend löste sich das Heck von der Kaimauer.
Emily war gefangen. Voller Entsetzen darüber, wie naiv sie sich verhalten hatte, zog sie sich wieder unter Deck zurück.
Fieberhaft überlegte sie, was sie tun konnte. Gar nichts, musste sie sich eingestehen. Sie konnte nur abwarten. Da sie nicht wagte, wieder das Licht einzuschalten, verharrte sie im Dunkeln. Schon bald hatte sie kein Gefühl mehr dafür, wie viel Zeit verging.
Plötzlich stoppte die Maschine, und das Heck schlug irgendwo hart an. Das Meer war rauer als vorher. Emily hörte das Quietschen einer Leine, die unter Spannung an einem Pfosten rieb. Sie hatten irgendwo angelegt.
Leise kletterte sie wieder nach oben und drückte vorsichtig die Luke auf. Kinross war nirgendwo zu entdecken. Die Brandung warf immer wieder Schwaden von Gischt durch die Luft. Das Schiff lag an einer Art Rampe, direkt unterhalb einer felsigen Steilküste, aus der neben der Bordwand der Harmony ein großes Portal aus bröckeligem Beton herausragte. In den Beton war eine graue Stahltür eingelassen. Emily vermutete, dass sie sich irgendwo an der windumtosten Nordküste befanden, wo es viele alte Bunker aus der deutschen Besatzungszeit gab.
Plötzlich tauchte Kinross am Bug hinter einer Netzwinde auf, eine zusammengerollte Leine in seinen Pranken. Er legte sie neben die Reling und kletterte geschickt zur Rampe des Bunkers hinüber, während sich das Schiff in der starken Brandung auf und ab bewegte.
Da er ihr den Rücken zudrehte, traute sich Emily etwas weiter aus ihrem Versteck heraus. Sie konnte genau beobachten, wie er eine Abdeckung von der Wand nahm und sie auf den Boden legte. Zum Vorschein kam eine Tastatur mit Zahlen, ähnlich wie bei einem Tresor. Da der Wind in ihre Richtung blies, konnte sie hören, dass jede Taste, sobald sie gedrückt wurde, ein piepsendes Geräusch von sich gab.
Dann zog Kinross die Bunkertür auf und verschwand nach innen. Die Tür ließ er offen. Nur zu gerne hätte Emily einen Blick in den Bunker geworfen, weil sie vermutete, dass er in diesem einsamen Versteck noch mehr Medikamente hortete, aber eine innere Stimme warnte sie.
Plötzlich hörte sie, dass Kinross im Bunker mit jemandem sprach. Eine Frauenstimme antwortete ihm hastig.
Kinross begann wütend zu brüllen.
Plötzlich schrie die Frau auf, mit einem herzzerreißenden Weinen.
Es war Constance!
Zitternd vor Aufregung krampfte Emily ihre Finger um den Einstiegsrand der Luke. Immer wieder überlegte sie, wie sie jetzt vorgehen sollte. Wenn Tony Kinross Constance entführt hatte, war er vermutlich auch der Mörder von Debbie. Dann musste Emily davon ausgehen, dass weder sie selbst noch Constance überleben würden, falls er sie an Bord entdeckte.
Sie hatte kein Telefon bei sich, und es wäre glatter Selbstmord gewesen, einen starken Mann wie Kinross anzugreifen.
Ich muss ins Wasser springen und an Land schwimmen, dachte sie verzweifelt, das ist das Einzige, was ich tun kann, um Hilfe zu holen. Sie schaute in das aufgewühlte graue Wasser hinter der Reling. Die Strömung war zwar gefährlich, und die Wellen schlugen hoch, aber irgendwie würde sie es schon schaffen. Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin.
In diesem Moment hob eine gewaltige Welle das Schiff an. Es schien sich aufzubäumen, doch dann fiel es wie ein Stein hinunter. Ein dichter feiner Nebel aus weißer Gischt schlug über Emily zusammen. Sie versuchte noch, sich festzuhalten, doch ihre Finger rutschten ab. Sie rutschte die glatte Leiter hinunter und stürzte auf den Boden des Laderaums zurück.
Mit schmerzendem Kopf rappelte sie sich auf und kletterte die Leiter wieder hoch.
Als sie ihren Kopf aus der Luke steckte, wehte ihr ein frischer Fahrtwind entgegen. Entsetzt stellte
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