Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
zugedrückt worden und nicht verriegelt, was selbst erfahrenen Skippern auf Segelschiffen immer wieder passierte. Mit beiden Händen zog sie den runden Deckel auf und spähte nach unten.
Der weiß gestrichene quadratische Laderaum war etwa zehn Fuß tief. Eine schmale Eisenleiter führte nach unten. Auf dem Boden standen zwei blaue Fässer, ein Surfbrett und mehrere Kartons. Es roch beißend nach Chemie. Vielleicht war die Luke auch deshalb offen geblieben.
Emilys Neugier wuchs. Sie öffnete die Luke vollständig.
Trotz ihrer schweren Wachsjacke fiel es ihr leicht, sich durch die Öffnung zu zwängen und die Leiter hinunterzusteigen. Sorgfältig schloss sie die Luke hinter sich. Als sie unten war, bediente sie den Lichtschalter neben der Leiter. Ihre Schritte hallten so hohl wie im Inneren des Leuchtturms von La Corbière.
Es war eng unten. Sie konnte sich kaum bewegen zwischen den Fässern und den Kartons. In eine Wand war eine halbhohe, zugezogene Schiebetür eingelassen, die wahrscheinlich zu einem anderen Laderaum führte.
Rasch inspizierte sie die Kartons. Ein Teil war leer, drei andere waren vollgestopft mit Vorräten an Gemüsebüchsen, Fertiggerichten und Kartoffelchips. Ein begnadeter Koch schien Tony Kinross nicht zu sein. Auch die beiden blauen Fässer enthielten nichts Interessantes. Das kleinere war voller Salzlake, das größere diente dem Fischer offenbar als Mülleimer. Sie verzog angewidert die Nase und drückte schnell wieder den Deckel darauf.
Vielleicht ist der Nebenraum interessanter, dachte sie. Mit einem kräftigen Ruck am Hebel zog sie die sperrige Schiebetür auf und kroch hinüber.
Dort richtete sie sich wieder auf. Dabei stieß sie mit dem Kopf an ein Holzregal. Unter ihren Füßen spürte sie das Schiff schwanken. Aus dem anderen Raum fiel nur wenig Licht herein. Doch es reichte Emily aus, um ihr zu zeigen, das sie schneller am Ziel ihrer Suche angekommen war, als sie vermutet hatte.
Auf hohen Regalen lagerten ganze Stapel bunter Kartons, Tüten und Gläser mit chinesischen Schriftzeichen. Es sah aus wie in einer Apotheke.
Fassungslos stand sie mitten in dem engen Raum und drehte sich langsam um die eigene Achse. Kinross schien die asiatischen Medikamente nach einem bestimmten Prinzip geordnet zu haben, denn auf einem Regal befanden sich nur große Mengen Tee und Pulver, auf einem anderen reihten sich vakuumverschlossene Gläser aneinander, in denen man unter anderem zerriebene Pflanzen und andere Substanzen erkennen konnte. In einem Glas glaubte sie winzige Tierkrallen erkannt zu haben. Es war eklig.
Viel Platz nahmen auch Kartons voller Salbentuben und seltsamer sechseckiger Cremetöpfchen ein, die sie an das Tiger Balm erinnerte, das sie sich einmal aus London mitgebracht hatte.
Unter den Behältern klebten kleine Zettel, auf denen die Namen und die Wirkung der Mittel notiert waren: Ling-Zhi-Pilze – Immunsystem (Göttliche Pilze der Unsterblichkeit) … Bu Gan-Tang – Leberbeschwerden … Tou Ton Ling – Kopfschmerzen … Mu Tong – Blasenentzündung/Entwässerung/Desinfektion … Ren Nai Li San – Männerstärke. Beim Tee hieß es jeweils nur: Meditationstee, Tee gegen Arterienverkalkung, Schmerztee …
Von einem rostigen Nagel in einem der Regale baumelte eine Art Lehrbuch, in dem die jeweils richtigen Medikamente nachgeschlagen werden konnten.
Sie fragte sich, ob Kinross wirklich wusste, was er da unter die Leute brachte. Sie bezweifelte es. Aber wenn ihr Verdacht – oder eigentlich war es ja nur ein mulmiges Gefühl – richtig war und ihr Mann nach seinem Verschwinden tatsächlich in dieses Geschäft eingestiegen war, dann wurde das Ganze ohnehin noch viel komplizierter.
Plötzlich hörte sie ein Rumpeln über sich. Sie lauschte angespannt und erstarrte. Es klang, als wenn jemand mit schweren Schritten zum Steuerstand ging. War Tony Kinross auf sein Schiff zurückgekehrt?
In ihrer Aufregung musste Emily sich dazu zwingen, das Richtige zu tun.
Das Licht.
Von Deck aus konnte man die angeschaltete Lampe unter dem offenen Spalt der Luke mit Sicherheit erkennen. Sie musste also schnellstens zurück in den anderen Laderaum.
So leise wie möglich robbte sie durch die niedrige Öffnung in den ersten Raum zurück. Ihre steife Wachsjacke machte raschelnde Geräusche, und sie beschloss, sie auszuziehen. Auch ihre Schuhe könnten sie verraten, also weg damit. Dann erst kletterte sie lautlos bis nach oben und knipste das Licht aus.
Auf einmal begann der Motor zu
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