Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
unter ihrem ungewöhnlichen Gedächtnis litt. Er war noch mit ihrer Schwester Edwina verheiratet gewesen, als sie damals die Diagnose von Professor Riddington bekommen hatte und dadurch in die schlimmste Krise ihres Lebens geraten war.
Sie beschloss, ihn mit seiner Bemerkung einfach kühl abblitzen zu lassen. »Du vermutest richtig«, antwortete sie emotionslos.
Sie war dankbar, dass sie in diesem Moment von Harolds junger, hübscher Kollegin Sandra Querée unterbrochen wurden. Sandra hatte bis eben im Polizeiwagen gesessen und mit den hauptberuflichen Spezialisten der Kriminalpolizei in St. Helier telefoniert.
Mit einem kleinen Zettel in der Hand trat sie neben den Chef de Police. »Die Kollegen müssen jeden Moment eintreffen.«
»Wer kommt?«
»Detective Inspector Jane Waterhouse und ihr Team.«
Harold schnaufte. Er wusste genau, dass er gegen Jane Waterhouse und ihre humorlose, irgendwie scharfkantige Art, sich über den Tatort herzumachen, keine Chance hatte. Es wäre besser, wenn er so schnell wie möglich versuchte, sich anderswo nützlich zu machen. Mit nervösem Räuspern sagte er: »Danke, Sandra, dann warten wir jetzt auf die Kollegen und knöpfen uns anschließend den Vikar vor.«
Unwillkürlich blickten alle zu Godfrey Ballards weißem Cabrio, das immer noch unverändert auf der Böschung hing. Sandra hatte es ausgiebig fotografiert und mit Kreide und roten Plastikstäben zahlreiche Markierungen in der Umgebung des Unfallortes angebracht.
Emily hatte plötzlich das Gefühl, den gutmütigen Vikar in Schutz nehmen zu müssen. »Mach Godfrey bitte keine allzu großen Vorwürfe«, bat sie Harold. »Er hat einfach die Gewalt über seinen Wagen verloren. So etwas passiert nun mal. Und dann war er so fix und fertig, dass ich ihn sicherheitshalber nach Hause geschickt habe.«
Sie musste nicht einmal lügen, denn so war es ja tatsächlich gewesen. Natürlich kannte ihr Ex-Schwager den Vikar gut genug, um zu ahnen, dass Godfreys Gang wahrscheinlich ein Torkeln gewesen war. Doch sie hoffte, dass Harold keine Lust hatte, sich schon wieder mit ihr anzulegen.
Sie hatte Glück. Widerspruchslos sagte er: »Ich verstehe.«
Hinter ihnen tat sich etwas. Ein kleiner Mannschaftswagen der Kriminalpolizei parkte auf dem schmalen Grasstreifen an der linken Straßenseite, zwei Männer und zwei Frauen stiegen aus, Autotüren wurden zugeschlagen, und einer der Männer lud mehrere Metallkisten aus, in denen sich das Material zur Spurensicherung befand.
Als erste Amtshandlung erklommen die vier Kriminalbeamten die Böschung und inspizierten – unter leisen fachmännischen Bemerkungen – das Erdloch mit Debbie Farrows Leiche. Alles war noch genau so, wie Emily es vor einer knappen Stunde hinterlassen hatte. Dann löste sich eine der beiden Frauen aus der kleinen Gruppe, sprang leichtfüßig auf die Straße hinunter und ging auf Emily, Harold Conway und Sandra Querée zu.
Es war Jane Waterhouse. Emily schätzte sie auf Anfang vierzig. Die jungenhaft schmale, sehnige Figur der Ermittlerin ließ einen sofort an entbehrungsreiche sportliche Wettkämpfe denken. Aber vielleicht war sie einfach nur ein herber Typ. Ihre extrem kurz geschnittenen braunen Haare, der sehr sportliche Gang und die nüchterne Art und Weise, wie sie gekleidet war, auch wie sie sprach, bekräftigten ihr Bemühen um Sachlichkeit am Tatort.
Sie nickte höflich in die Runde und kam dann ohne Umschweife zur Sache, indem sie sich direkt an Emily wandte. »Ich bin Detective Inspector Waterhouse. Sie haben die Tote gefunden?«
»Ja.« Emily reichte ihr die Hand. »Emily Bloom aus St. Brelade’s Bay. Es hat hier vorhin einen kleinen Unfall gegeben, gerade als ich zufällig vorbeikam. Dabei habe ich dann die furchtbare Entdeckung gemacht.«
»Wo kamen Sie her?«
»Vom Aussichtspunkt Grosse Tête. Ich bin dort regelmäßig, um Tiere zu beobachten.«
»Gibt es irgendjemanden, den Sie davor oder danach hier an der Straße gesehen haben? Ein Auto, das wegfuhr, einen Spaziergänger, Leute, die unten vom Friedhof kamen?«
»Nur Mr. Rondel, der auf dem Klippenweg mit seinem Hund spazieren ging. Er wohnt in einem der Häuser an der Heide.«
In diesem Augenblick mischte sich Harold ein. »Der Wagen dort gehört übrigens Vikar Godfrey Ballard«, sagte er mit wichtiger Miene, als hätte er jetzt erst gemerkt, dass er vorhin sein Stichwort verpasst hatte.
Jane Waterhouse quittierte seinen verspäteten Hinweis mit einem kurzen Nicken, ohne dabei ihre
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