Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Nach dem Tod ihrer Mutter vor vier Jahren gab es nur noch die jüngere Schwester Constance, die jedoch in England lebte und schon lange nicht mehr auf Jersey gewesen war. Debbies Freunde kannte Emily kaum. Wie alle jungen Leute aus dem Ort war sie früher öfter in Diskotheken unterwegs gewesen oder hatte mit ein paar Jungs am Strand von St. Brelade’s Bay geflirtet. Und nein, der Name Frank Guiton sagte Emily gar nichts.
Erschöpft ließ sie sich an die gepolsterte Lehne des Autositzes sinken. Zuckende Kopfschmerzen in ihrem Hinterkopf erinnerten sie daran, wie lange sie schon unter Anspannung stand. Vorsichtig drehte sie ihren Kopf ein paar Mal hin und her, um den Schmerz loszuwerden, aber das Stechen blieb hartnäckig.
»Für uns drängt sich natürlich die Frage auf«, sagte Jane Waterhouse, »ob Debbie Farrows Tod etwas mit dem anderen Mord zu tun hat … Sie haben sicher darüber gelesen.«
»Ja, natürlich.«
»Sie könnte zum Beispiel Zeugin des ersten Verbrechens gewesen sein. Oder sie hatte Kontakte zu polnischen Einwanderern. Ist Ihnen da etwas bekannt?«
»Nein. Wie gesagt, so oft habe ich Debbie in letzter Zeit nicht gesehen …« Plötzlich fiel Emily etwas ein. »Aber Sie könnten ihren Cousin danach fragen. Oliver Farrow. Er arbeitet im Hafen.«
»Danke. Ich werde es überprüfen lassen.«
Die Ermittlerin beendete ihre Laptop-Notizen. Emily war aufgefallen, dass der Ton, in dem sie ihre Fragen stellte, etwas merkwürdig Indifferentes hatte, er war weder freundlich noch unfreundlich, eher distanziert und ebenso nüchtern wie das Äußere von Jane Waterhouse. Plötzlich glaubte sie zu verstehen, warum Harold mit dieser Frau nicht zurechtkam. Sie war zweifellos kompetent, aber bei ihrer Arbeit verhielt sie sich so leidenschaftslos wie ein Stück Holz. Über Harold Conway dagegen konnte man sagen, was man wollte – er kniete sich voller Eifer in seine Aufgabe bei der Polizei.
Jane Waterhouse stand auf. Offensichtlich hatte sie bemerkt, dass Emily unkonzentriert wurde. »Gut, ich denke, das waren jetzt erst mal die wichtigsten Fragen, Mrs. Bloom«, sagte sie lächelnd. Auch dieses Lächeln war wieder so, dass man es nicht näher bestimmen konnte. »Wir werden sicher noch einmal auf Sie zukommen, sobald die Obduktionsergebnisse vorliegen.«
Emily war alles recht, wenn sie nur möglichst bald diesen Ort des Schreckens verlassen konnte. Es fiel ihr schwer, zu akzeptieren, dass dort oben eine ermordete junge Frau lag, die sie gekannt und gemocht hatte und über die man jetzt sprach, als handelte es sich um einen Gegenstand, den man zur näheren Betrachtung auseinandernehmen musste. Erleichtert stieg sie aus dem Mannschaftswagen.
Gleich hinter dem Bus stand Harolds Polizeiauto. Er war gerade dabei, in seinen Wagen zu steigen, und rief ihr zu: »Bist du fertig?«
Emily ging zu ihm. »Ja. Könntest du mich vielleicht nach Hause fahren?«
»Steig ein. Meine Kollegin bleibt hier, bis der Pathologe kommt. Schaffst du noch den kleinen Umweg über das Pfarrhaus?«
Ihr entging nicht, dass in seiner Stimme die Hoffnung mitschwang, dass sie ihm bei Godfrey Ballard zur Seite stand. Wenn sie Harold nicht noch einmal verärgern wollte, sollte sie ihm diesen Gefallen tun. Er wusste genau, dass Godfrey immer auf sie hörte.
Seufzend sagte sie: »Meinetwegen.«
Das Haus des Vikars lag etwa in der Mitte des kleinen Badeortes St. Brelade’s Bay, in der Nähe des Winston Churchill Parks, am Ende eines versteckten Weges. Seit einem Jahr diente es als Ersatz für das eigentliche Pfarrhaus, das direkt gegenüber dem Friedhof lag und das mit seinen hübschen blauen Fensterrahmen beinahe wie eine kleine Privatvilla aussah. Die lange Krankheit ihres Rektors nutzte die Gemeinde dazu, das alte Pfarrhaus von Grund auf renovieren zu lassen, sodass Vikar Ballard als Stellvertreter vorerst mit der angemieteten Unterkunft am Churchill-Park vorliebnehmen musste.
Die Zufahrt war mit Kies bedeckt, wie die meisten Privatstraßen; für deren Unterhalt hatten die Eigentümer selbst aufzukommen. Rechts und links des sehr schmalen Weges wucherten ungeschnittene, dichte Hecken über die Zäune. Schimpfend lenkte Harold das Polizeiauto im Slalom um die herunterhängenden Äste herum, konnte aber dennoch nicht verhindern, dass mehrmals Zweige verdächtig laut auf dem Lack entlangkratzten.
»Das werden die Ersten sein, die bei der nächsten Heckenkontrolle dran sind!«, knurrte er. Zweimal im Jahr, bei der sogenannten Visite du
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