Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Aufmerksamkeit von Emily abzuwenden. »Mrs. Bloom, wir werden nun als Erstes versuchen, einen Zeitrahmen für die Tat zu erstellen.«
Ihr arrogantes Verhalten Harold gegenüber wirkte wie eine Zurechtweisung, die offensichtlich auf zahlreiche andere unerfreuliche Begegnungen zwischen ihr und dem Chef de Police zurückzuführen war. Emily sah, wie Harolds Adern am Hals anschwollen, während er sich ein paar Schritte zurückzog. Sie wollte jetzt nicht in seiner Haut stecken.
Ungerührt fuhr Detective Inspector Waterhouse mit ihren Fragen fort. »Wissen Sie noch, um wie viel Uhr Sie an der Unfallstelle waren? Wenigstens ungefähr?«
Emily schloss kurz die Augen und konzentrierte sich auf jenen Moment, als sie Godfreys Auto kommen gehört und auf die Uhr geschaut hatte. Motorgeräusch und Uhr waren in ihrem Gedächtnis fest miteinander verbunden. Danach hatte sie sich etwa zwei Minuten lang mit dem Vikar unterhalten, bevor er weiterfuhr.
»Um sechzehn Minuten nach zwölf«, antwortete sie, ohne zu zögern.
Überrascht fragte Jane Waterhouse: »Das wissen Sie so genau?«
»Ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis«, meinte Emily bescheiden.
Sie hoffte, dass ihr Ex-Schwager jetzt den Mund hielt. Vorsichtig schwenkte ihr Blick zu Harold hinüber, der mit missmutigem Gesicht hinter seiner verhassten Kollegin aus St. Helier stand, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Seine Haltung sprach Bände. Er machte nicht den Anschein, dass er Emily jetzt in den Rücken fallen wollte.
»Ich schlage vor«, sagte Detective Inspector Waterhouse mit einem kritischen Blick in den strahlend blauen Himmel, »dass wir uns in den Wagen setzen, bevor es noch heißer wird. Das ist bequemer. Und Sie können ganz in Ruhe Ihre Aussage machen.«
»Wenn es Ihnen recht ist, würde ich vorher nur noch schnell in meinem Teeladen anrufen und meinem Mitarbeiter Bescheid geben, dass ich später komme.«
»Tun Sie das.«
Mit kühler Höflichkeit fragte Harold: »Und wie sieht’s mit uns aus? Werden Miss Querée und ich noch gebraucht?«
»Ach so, ja …« Jane Waterhouse drehte sich zu ihm um und fixierte ihn kurz, als müsste sie erst intensiv nachdenken, wie sie die Honorary Police halbwegs sinnvoll einsetzen könnte. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Peter und Holly bei den Markierungen helfen könnten. Jedenfalls so lange, bis der Pathologe hier ist und wir die Leiche zur Obduktion abholen lassen.«
Harold Conways Antwort verbarg nur schlecht, dass er innerlich kochte. »Wie Sie wünschen, Detective Inspector Waterhouse.«
Er drehte sich um und marschierte mit Sandra Querée im Schlepptau zum Fundort der Toten zurück. Seine ausgreifenden Schritte hätte man auf den ersten Blick übertriebenem Diensteifer zuschreiben können, wenn sein hochroter Kopf ihn nicht verraten hätte.
Auf dem Weg zum Mannschaftswagen der Polizei rief Emily mit ihrem Handy schnell bei Tim im Laden an. Normalerweise hätte er um ein Uhr gehen können, weil Emily nachmittags immer selbst im Geschäft stand. Nachdem sie ihn kurz über die Katastrophe informiert hatte, war sie bereit für das Verhör.
Sie stieg in den nicht gerade sauberen Polizeibus und nahm auf einem Hocker vor einem zerkratzten hellbraunen Tischchen Platz. Jane Waterhouse setzte sich ihr gegenüber und klappte einen schwarzen Laptop auf, der zur Ausrüstung des Busses gehörte. Währenddessen konnte Emily durch das Autofenster feststellen, wie die Unfallstelle draußen vor dem Fenster sich innerhalb von Minuten in ein Laboratorium verwandelt hatte. Das Team in den weißen Schutzanzügen nahm in lautloser Routine Gipsabdrücke, steckte Schilder mit Nummern in den Boden, streute Pulver über Baumstämme und hob innerhalb des Erdlochs – vermutlich rund um das Gesicht der armen Debbie Farrow – Erde ab. Mithilfe kleiner Pinzetten und winziger Schaufeln wurde sie in Tüten und Dosen abgefüllt.
Geduldig beantwortete Emily alle Fragen, die Jane Waterhouse ihr stellte. Wie gut hatte sie die Tote gekannt? Was hatte Debbie Farrow gestern für geheimnisvolle Andeutungen gemacht? Woran war Debbies Kind gestorben? Was für Freunde hatte sie? War sie in letzter Zeit irgendwo zusammen mit Frank Guiton gesehen worden?
Alles, was Emily sagen konnte, war, dass Debbie Farrows kleiner Sohn Asthma gehabt hatte und auch sonst sehr kränklich gewesen war. Jeder in St. Brelade wusste, dass der Kleine als uneheliches Kind auf die Welt gekommen war, so wie auch Debbie selbst ohne Vater aufwachsen musste.
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