Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Branchage , wurde in allen Gemeinden auf Jersey der Schnitt der Bäume und Hecken an den engen Straßen kontrolliert. Emily musste insgeheim schmunzeln über Harolds Eifer.
Es gab nur vier Häuser in der kurzen Sackgasse, alle im viktorianischen Stil, mit zugewachsenen Gärten und moosbedeckten Mauern zwischen den Beeten. Das letzte Haus, bis unter die Dachrinne mit Efeu bewachsen, war das Vikariat.
Harold parkte ein Stück hinter dem Tor. Interessiert blickte Emily über den dunklen Holzzaun in den Garten. Sie war erst einmal hier gewesen. Sie hatte das Grundstück sehr viel heller und sonniger in Erinnerung. Ganz offensichtlich gehörte Gartenarbeit nicht zu Godfrey Ballards Lieblingsbeschäftigungen. Nur der Rasen war ordentlich gemäht. Ringsherum jedoch hatte er alles so wuchern lassen, wie die Natur es freiwillig anbot. In Emilys Familie wurde ein solcher Wildwuchs ein ungekämmter Garten genannt, was ihm allerdings nicht seinen Charme absprechen sollte.
Sie öffneten das quietschende Eisentor und gingen zwischen den beiden hohen Steinsäulen hindurch, die das Tor ehrwürdig einrahmten und die durch einen verwitterten Granitbogen miteinander verbunden waren.
Fast wäre Emily über ein paar erdverkrustete olivgrüne Gummistiefel gestolpert, die am Fuß der Treppe zum Hauseingang lagen.
Merkwürdigerweise war die Eingangstür aus schwerem Eichenholz nur angelehnt. Harold Conway stieß sie so weit auf, dass sie einen Blick in das quadratische Treppenhaus werfen konnten.
»Herr Vikar? Sind Sie da?«
Er bekam keine Antwort. Stirnrunzelnd blickte er zu Emily. Sie zuckte mit den Schultern und legte den Kopf in den Nacken, um über die Treppe zur Balustrade hochzuschauen. »Godfrey, sind Sie oben?« Ihre Stimme hallte unter der hohen Decke.
Außer dem Summen einer Wespe war nichts zu hören.
»Du wirst sehen, der schläft seinen Rausch aus«, meinte Harold Conway und winkte ab, »aber so einfach kommt er mir nicht davon.«
Kurz entschlossen ging er an Emily vorbei und riss die zweiflügelige Glastür zum Wohnzimmer auf, das direkt in ein großzügiges Arbeits- und Bibliothekszimmer überging. Emily folgte ihm.
Im ersten Moment sah es so aus, als würde ein Mensch auf der wuchtigen Ledercouch vor dem Fenster liegen. Doch bei näherem Hinsehen entpuppte sich das längliche schwarze Etwas als eine unordentlich hingeworfene Wolldecke. Von Godfrey selbst war nichts zu sehen, weder im Wohnzimmer mit seinen altmodisch geblümten Sesseln noch im Arbeitszimmer, dessen Bücherregale von oben bis unten mit religiöser Fachliteratur vollgestellt waren. Erstaunt entdeckte Emily dazwischen ein Regalbrett mit leichten Romanen und Bildbänden. Auf einem Beistelltisch stapelten sich abgegriffene Gesangsbücher und die Einladungen zum Gemeindefest. Neugierig stöberte Harold Conway zwischen den Sachen herum.
»Musst du das jetzt wirklich tun?«, fragte Emily peinlich berührt.
Unwillig warf er die Einladungen wieder auf den Beistelltisch zurück. »Entschuldigung, aber der Vikar ist nun einmal der Auslöser von allem! Und wenn er nicht hier ist, kann das eine Menge bedeuten!«
Er hat ja recht, dachte Emily, es ging schließlich längst nicht mehr nur um Trunkenheit am Steuer, sondern um einen Mordfall. Sie hoffte inständig, dass Godfrey oben im Bett lag und fest schlief.
Entschlossen ging Harold zurück ins Treppenhaus. Wie immer, wenn er unter großer Anspannung stand, waren seine Lippen schmal und hart geworden. Emily folgte ihm. Sie sah, wie er eine Hand auf den blanken Holzlauf des Treppengeländers legte.
»Ich schau oben nach und du hier unten.«
Polternd eilte er die Treppe hinauf.
Emily blickte sich um. Im Erdgeschoss gab es drei geschlossene Türen, eine direkt am Eingang, die beiden anderen jeweils rechts und links neben der Flügeltür zum Wohnzimmer. Sie öffnete eine nach der anderen. Hinter der Tür am Eingang verbarg sich eine schmale Gästetoilette, über deren Waschbecken ein Plakat mit einem aus dem Meer auftauchenden Delfin hing.
Hinter der linken Tür erstreckte sich eine geräumige Küche, die für ein Pfarrhaus erstaunlich gut ausgestattet war. Godfrey Ballard schien ein ausgeprägter Feinschmecker und Hobbykoch zu sein, denn in den Küchenregalen stapelten sich feinste Delikatessen von der Gänseleberpastete bis zum Trüffelöl. Auf dem Fensterbrett stand ein Korb mit Gemüse und Salat.
Emily verbot es sich, noch länger in der fremden Küche herumzustöbern. Sie ging zurück in den Flur und
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