Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
festgenommen hat?«
Jetzt war es Tim, der erstaunt war. »Häh? Da muss ich mal seinen Cousin fragen.« Damit schien für ihn das Thema auch schon erledigt zu sein, denn er blickte auf die Uhr und fragte höflich: »Ist es Ihnen recht, Mrs. Bloom, wenn ich mich jetzt auf den Weg mache?«
Verblüfft, aber auch ein wenig neidisch stellte Emily fest, wie schnell junge Leute in der Lage waren, sich von unangenehmen Themen zu verabschieden. Aber Tim hatte ja recht, der Teeladen musste pünktlich geöffnet werden.
»Na dann los«, sagte sie lächelnd.
Tim hob die Hand, startete den Motor und griff nach dem wuchtigen Helm. Auch Shaun Flairs Harley sprang wieder an.
Plötzlich fiel Emily etwas ein. Sie hatte sich ja vorgenommen, bei Godfrey Ballard vorbeizuschauen. Gerade noch rechtzeitig, bevor Tims Kopf wieder unter dem Helm verschwand, rief sie ihm zu: »Tim! Heute Mittag könnte es bei mir wieder etwas später werden. Ist das okay für dich?«
»Kein Problem, Mrs. Bloom!«
»Danke!«
Mit knatterndem Auspuff fuhr Tim davon. Shaun folgte ihm winkend. Lächelnd blickte Emily hinter ihnen her.
Ihre Hände steckten in den schmalen aufgesetzten Taschen ihres grünen Kostüms, das sie immer dann trug, wenn sie besonders viel Selbstvertrauen benötigte. Der elegante schwarze Haarreif, für den sie sich heute entschieden hatte, ließ ihr Gesicht offen und ihre Haut glatt erscheinen, doch ihr war im Spiegel nicht entgangen, dass der sonst so humorvolle Ausdruck in ihren grünen Augen immer noch nicht zurückgekehrt war.
Im Schneckentempo kroch das Taxi, in dem Frank Guiton saß, die steile Haarnadelkurve bei Le mont du la valle hinter einem schweren Kühllastwagen her. Tief unter ihnen blieb der endlos lange Strand zurück, an dessen Wassersaum auch heute wieder Muschelsucher mit Tüten in der Hand entlangzogen.
Wegen der Hitze, die sich im Auto staute, hatte der Taxifahrer alle Fenster geöffnet. Er schob seinen Arm in den warmen Fahrtwind, klopfte ungeduldig mit der flachen Hand auf das Autodach und schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, warum das noch keiner geschafft hat, endlich breite Straßen auf Jersey zu bauen«, schimpfte er. Sein Dialekt verriet ihn als jemanden, der irgendwo aus Nordengland stammte, wo genügend Platz für Motorways war. Guiton überlegte, ob er als Insulaner etwas Kritisches darauf antworten sollte, aber er ließ es. Immerhin war der Fahrer so feinfühlig gewesen, ihn nicht zu fragen, was er im Gefängnis gemacht hatte.
Während er draußen die Hecken und Steinwälle, die die Felder voneinander trennten, an sich vorüberziehen sah, sagte Guiton nur: »Oben auf der B 55 wird’s ja gleich besser.«
Er liebte die einsame, nur dünn besiedelte Landschaft im Nordwesten der Insel. Hier, bei St. Ouen, war er geboren, hier kannte er sich aus. Vor allem entlang der Steilküste, wo die ungezähmte Natur am ursprünglichsten und am wildesten war, gab es kaum einen Pfad, den er nicht auf dem Rücken eines Pferdes erkundet hatte.
Sobald sie wieder auf freier Strecke waren, drückte der Taxifahrer zweimal kurz auf die Hupe und setzte zum Überholen an. Der Wagen scherte aus, raste am Kühlwagen vorbei und setzte sich davor, und das alles so scharf und abrupt, dass Guiton auf der Rückbank hin und her geworfen wurde. Geistesgegenwärtig hielt er dabei seine Reisetasche fest, die neben ihm stand und aus deren Seitentasche der Umschlag mit den Gefängnisunterlagen herausschaute, die er als Duplikate mitbekommen hatte.
»Entschuldigung!«, rief der Fahrer nach hinten. »Ging leider nicht anders, wenn wir irgendwann mal ankommen wollen.«
»Schon in Ordnung.«
»Wo muss ich abbiegen?«
»Hinter der nächsten Kreuzung die vierte Straße links.«
Mit einem Gefühl von Ekel stopfte Guiton die Gefängnispapiere ganz tief in die Tasche zurück, sodass er sie nicht mehr sehen musste. Wie viel Kraft ihn die vergangenen zwei Tage gekostet hatten, spürte er erst jetzt. Sein ganzer Körper schien ausgelaugt und müde. Dabei war es weniger die Enge der schlichten Gefängniszelle, die ihn zermürbt hatte. Es war vor allem der psychische Druck, den Detective Inspector Waterhouse auf ihn ausgeübt hatte. Er dankte Gott dafür, dass er vor einer Woche die Entscheidung getroffen hatte, sich den neuen Kartenplotter zu kaufen.
Vor ihnen tauchte eine Fahrradfahrerin auf, die gegen den Wind kräftig in die Pedalen trat. Frank Guiton erkannte sie an ihrem flatternden grünen Seidenschal. Es war seine Nachbarin Helen
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