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Was du nicht weißt: Roman (German Edition)

Was du nicht weißt: Roman (German Edition)

Titel: Was du nicht weißt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Beling
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bereuen müsste.«
    Emily hatte den Eindruck, als würde Richard ein klein wenig erröten. Aber vielleicht hatte sie sich auch getäuscht.
    »Na, das wird sich doch machen lassen«, sagte er lächelnd und versuchte, Mary-Anns braunen Augen standzuhalten.
    Sie waren an der Bar angekommen. Zwei flinke Studentinnen schenkten Bier, Mineralwasser und Champagner aus. Emily hatte keine Lust mehr, sich den schönen Jazzabend von Richards philosophischem Geplänkel zerreden zu lassen.
    »Jetzt sei bitte ein Gentleman und hol etwas zu trinken für uns«, bat sie ihn. »Die Musik geht nämlich gleich weiter.«
    »Was wollt ihr? Champagner oder Wasser?«, fragte er.
    »Champagner«, antworteten Emily und Mary-Ann wieder wie aus einem Mund.
    Mit einem Zwanzig-Pfundschein in der Hand stellte sich Richard in der Schlange an. Ein paar Minuten später kam er fröhlich zurück, drei Gläser in den Händen. Sie stießen an.
    Über ihr Glas hinweg fragte Mary-Ann: »So, Richard. Und jetzt möchten wir wissen, was du in einem neuen Leben tun würdest.«
    »Das würde mich auch mal interessieren«, sagte Emily. Sie freute sich, dass sie und Mary-Ann sich immer noch so gut verstanden.
    Richard hob seine buschigen Augenbrauen. »Ich?«, sagte er, ohne lange nachzudenken. »Ich würde am liebsten in einer Woge aus perlendem Champagner untergehen …«
    Alle drei prusteten los.
    Emily konnte nicht fassen, wie naiv sie damals gewesen war. Die scheinbar fröhliche Unterhaltung zwischen Richard und Mary-Ann Farrow strotzte in Wirklichkeit vor geheimen Signalen. Ihre Blicke, die Anspielungen auf ein neues Leben, Mary-Anns kryptischer Wunsch, dass sie einen Neuanfang hoffentlich nie bereuen müsse – das ganze Gespräch in dieser lauen Nacht verbarg so viel zwischen den Zeilen, was Emily bisher nicht erkannt hatte.
    Plötzlich ergab alles einen ganz neuen Sinn. Auch Richards Witz darüber, dass er am liebsten in einer Woge aus Champagner untergehen würde.
    Schon vierundzwanzig Stunden später war er untergegangen. Ein tragischer Zufall. Oder nicht? Denn es könnte auch bedeuten, dass er seinen Tod sorgfältig inszeniert hatte.
    Emily hielt den Atem an.
    War Richard in Wirklichkeit noch am Leben?
    Sein Besuch bei Frank Guiton im Krankenhaus hatte Richter Willingham dazu gebracht, die Pläne für sein künftiges Leben kurzfristig zu ändern. Lange Zeit war er davon ausgegangen, dass er sich nach der Beendigung seiner Tätigkeit am Magistratsgericht ganz aus dem Rechtsgeschäft zurückziehen und nur noch privatisieren würde. Doch jetzt dachte er anders. Dass er aus der Sicht Frank Guitons miterleben durfte, wie man mit einem Verdächtigen umsprang, hatte einen faszinierenden Blickwinkel ergeben, den er zuletzt als junger Verteidiger erlebt hatte.
    Er zweifelte nicht daran, dass die Polizei – die Honorary Police unter Harold Conway ebenso wie die Kriminalpolizei in St. Helier – im Prinzip einen guten Job machte. Und doch gab es in ihrem Verhalten gegenüber Guiton etwas, das ihn störte.
    Plötzlich reizte Willingham der Gedanke, wie früher wieder als Anwalt zu arbeiten. In den vergangenen Jahren hatte er immer wieder beobachtet, dass unter der sogenannten neuen Elite eine gefährliche Krankheit grassierte. Exzellent ausgebildete junge Leute wie sein Nachfolger Edward Waterhouse, wie die kaltschnäuzigen Banker oder die gerade mal dreißigjährigen Finanzanwälte – sie alle litten unter Selbstüberschätzung. Und Opfer dieser Arroganz waren die einfachen Bürger.
    Jersey war immer eine Insel der Zupackenden gewesen. Willingham war stolz darauf, dass ihm seine kleine Insel die Chance auf ein Studium und später auf ein hohes Amt ermöglicht hatte, obwohl er aus kleinen Verhältnissen stammte.
    Nein, jetzt durfte er nicht kneifen. Jetzt begann es eigentlich erst, Spaß zu machen.
    Noch am selben Nachmittag unternahm er alle notwendigen Schritte, um wieder als Anwalt zugelassen zu werden. Es war leicht. Die Anwaltskammer fühlte sich geehrt, ihn wieder in ihren Reihen begrüßen zu können, denn das traditionsorientierte Rechtssystem auf Jersey – eine komplizierte Mischung aus britischen, französischen und normannischen Rechtselementen – erforderte gewiefte Juristen wie Willingham.
    Gleich anschließend suchte er Frank Guiton im Krankenhaus auf.
    Er fand ihn im fortgeschrittenen Stadium schrecklicher Langweile. Auf dem weißen Nachttisch und auf seiner Bettdecke stapelten sich die zerlesenen Ausgaben mehrerer Tageszeitungen und

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