Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
Vom Netzwerk:
Krischna. »Ich kann es nicht. Krischna, du weißt, dass ich kein Feigling bin. Das ist keine Schwäche. Es ist Mitgefühl mit dem Feind.« Stumm saß Ardschuna da und weigerte sich zu kämpfen.
    Selbst vor zweitausend Jahren herrschte Einverständnis darüber, dass Appelle an Männlichkeit und soziale Pflichten nicht ausreichten, um die Brüder auf der anderen Seite zu töten. Krischna drängt weiter, diesmal mit der Religion, dem todsicheren Überredungsinstrument. »Glaube mir«, sagt Krischna, »die unsterbliche Seele lässt sich nicht zerstören. Niemand kann es verstehen … Du tötest nicht, und dein Opfer wird nicht getötet … Waffen können die Seele nicht verletzen, Feuer kann sie nicht verbrennen, Wasser sie nicht durchtränken. Die Seele ist ewig und wird es immer bleiben. Wenn du diese Wahrheit einmal begriffen hast, gibt es keinen Grund mehr zur Trauer.«
    Die Religion wird auch heute noch dazu missbraucht, Männer dazu zu bewegen, ihre Brüder zu töten. Aber zu sagen, dass es schon in Ordnung ist, den eigenen Bruder zu töten, weil das Universum eine riesige Recyclinganlage ist, hatte die gleiche Wirkung auf Ardschuna, die es auf uns heute haben würde: keine.
    Als er begreift, dass all diese Punkte bei Ardschuna nicht verfangen, kommt Krischna schließlich auf das, was ich für das einzig stichhaltige Argument halte und worum es im Grunde geht. Er hebt den Umstand hervor, dass wir Menschen in unserer Existenz gefangen sind und deshalb Entscheidungen treffen müssen. Das heißt, wenn wir mit den tatsächlich existierenden Mächten des Guten und des Bösen konfrontiert werden, müssen wir eine Seite wählen. Krischna konstatiert im
Mahabharata:
»Es ist nicht richtig, tatenlos zuzusehen, wie Unrecht geschieht. Es gibt Zeiten, da man aktiv eingreifen muss.«
    Allerdings muss der Krieger vorsichtig sein, wenn es darum geht, wen die Politiker zum Teufel erklären. Meist muss er sich mit beschränkter Information und beschränkter Selbstkenntnis für eine Seite entscheiden. Viele anständige Deutsche haben am Ende immer noch an eine Regierung geglaubt, die Millionen Menschen in Konzentrationslagern umgebracht hat und behauptete, sie wolle das Volk vor dem Bolschewismus und dem »internationalen Judentum« schützen. Eine Generation später haben viele Amerikaner, wie auch ich, für eine Regierung gekämpft, die Dörfer mit Napalm niedergebrannt hat, um die Konsumenten daheim vor dem Übel des »internationalen Kommunismus« zu schützen. Die »Teufel« fangen an, verdächtig ähnlich auszusehen, und unecht. Es war genau diese Ausdrucksweise, die mich auch an Washingtons Rhetorik so angewidert hat, als es darum ging, in den Irak und Afghanistan einzumarschieren. Ich war dafür, Osama bin Laden und Saddam Hussein zu jagen, aber die meisten Terroristen sind keine Teufel, sondern schrecklich fehlgeleitete Menschen, die dazu angestachelt wurden,
unsere
Seite zum Teufel zu erklären. Kriege zu Kreuzzügen zu machen, führt zu vernebelten Urteilen und heftiger, selbstgerechter Opposition, die andernfalls womöglich in sich zusammenfallen würde. Und es führt zu Kreuzzügen der Gegenseite und rachedurstigen Gegenschlägen. Im Allgemeinen vermögen die Menschen am Ende rational zu beurteilen, ob sie auf der falschen oder richtigen Seite einer politischen Auseinandersetzung über Menschenrechte und Werte stehen und ob es besser wäre, das Kämpfen einzustellen. Spielt die Religion hinein, finden sie für gewöhnlich zu keinem vernünftigen Urteil.
    Krischna erklärt Ardschuna, dass es zwei Wege des Begreifens gibt, den des Lernens durch Meditation und den der Arbeit für die Männer der Tat. Diese beiden Wege existieren genauso in unserer westlichen Mythologie, zum Beispiel in der Geschichte Parzivals, die Teil der Gralslegende ist. In ihr verkörpert der Bruder des Fischerkönigs den Pfad des Lernens. Er ist ein Mönch und religiöser Denker, den Parzival vor Betreten der Gralsburg trifft. Parzival selbst zeigt uns den Weg der Tat, den Krischna auch Ardschuna nahelegt.
    Krischna sagt zu Ardschuna: »Denke daran, kein Mann darf still bleiben, nicht mal einen Moment. Er muss arbeiten. Es ist ein Gesetz der Natur, dass der Mann arbeitet … Ohne zu arbeiten, kannst du nicht leben. Selbst die Körperfunktionen brauchen Arbeit, um aufrechterhalten zu werden.
    Wie also kann man dem Zwang zur Arbeit entgehen? Indem man Opfer für das allgemeine Gute bringt. Das ist das Geheimnis gut getaner Arbeit. Arbeit sollte

Weitere Kostenlose Bücher