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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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Hochzeit eingeladen ist, sich aber dennoch holt, was ihr zusteht. In der Dunkelheit verbergen sich Anwälte, Ärzte und Kirchenräte im lynchenden Mob. Wie ein böser Geist lauert nachts die Finsternis in den sanft sich wiegenden Bäumen und verschatteten Gassen zwischen den Häusern, dann brechen Wahnsinn und Gewalt aus, ein Kitzel, wie ihn sich niemand während des schläfrigen Tages hat vorstellen können.
    Wenn Sie das nächste Mal mit einer Gruppe von etwa vierzig Leuten zusammen sind, vielleicht in einem Bus, stellen Sie sich die Mitreisenden einmal alle mit den schlanken, durchtrainierten Körpern von Achtzehn- bis Zwanzigjährigen vor. Bewaffnen Sie die jungen Leute mit automatischen Gewehren, Raketen und Granaten. Geben Sie noch drei Maschinengewehre dazu, ausreichend Munition und die Unterstützung der Industriemacht Amerika. Diese jungen Männer werden alles tun, was Sie ihnen sagen, ohne Frage, absolut alles. Und jetzt verleihen Sie ihnen noch die Fähigkeit, Kampfjets zu Hilfe zu rufen, die allein mit dem Lärm ihrer Triebwerke die Erde erzittern lassen, die fußballfeldgroße Flächen mit geliertem Feuer überziehen und Krater in die Erde reißen können, die groß genug sind, um ganze Autobahnen in ihnen verschwinden zu lassen, Jets, die so viel Blei spucken, dass sie den Körper einer Kuh im Bruchteil einer Sekunde zu Brei schießen können. Fehlen nur noch die Artillerieunterstützung mit Granaten im Umfang Ihres Leibes und Marinekanonen, deren Granaten das Gewicht eines Volkswagens haben. Stellen Sie sich vor, Sie selbst sind einundzwanzig, halten sich für unsterblich und glauben, dass Ihnen niemand jemals auch nur eine Frage nach Ihrem Tun stellen wird.
    Damit sind Sie nur der Führer eines Platoon, eines Zuges, der niedrigstrangige Offizier in einer Infanterieeinheit, die ihrerseits nur über die einfachste Bewaffnung verfügt. In unseren Gefechtssituationen heute kann ein Lieutenant Bomben von B- 52 -Bombern anfordern, die so hoch fliegen, dass sie niemand sieht, und Tomahawk-Raketen, die aus einer Entfernung von fünfhundert Meilen von See abgefeuert werden und so genau treffen wie ein Gewehr aus zweihundert Metern.
    Versuchen Sie sich in solch eine Situation und den Kopf eines Zugführers zu versetzen. Versuchen Sie es, denn die Welt ist darauf angewiesen. Wenn Sie sagen, Sie können es nicht, halte ich dagegen, dass Sie auf tragische Weise einen tief sitzenden Teil Ihrer selbst verleugnen, tragisch für uns alle, nicht allein für Sie. Ich habe die Macht geliebt, ich liebe sie noch immer. Und es macht mir große Angst.
    Für diejenigen unter Ihnen, die es nicht wissen, aber argwöhnen, dass sie es ebenfalls lieben könnten, habe ich Hoffnung. Die, die es nicht wissen, fürchte ich. Sie sind es, die einen Kommunisten völlig gefühllos umbringen, auch einen achtjährigen. Sie sind es, die einen Veteranen anspucken, selbst einen Sanitäter. Sie sind es, die Bankern Briefbomben schicken, auch wenn sie Väter sind und kleine Kinder haben. Sie sind es, die das spirituelle Empfinden ihrer Söhne verbieten und diese ungeheure Energie so tief in sie hineintreiben, dass sie, wenn sie wieder hervorkommt, und das wird sie, mit solcher Wucht und Wut die Tore der Vernunft einreißt wie ein Stiefel, der durch eine Scheibe tritt.
    Als ich aus dem Krieg zurück war, wachte ich nachts auf und versuchte mir zu erklären, wie ich, dieser Mensch, der gut und anständig sein wollte und das mit aller Kraft auch versuchte, wie ich gleichzeitig etwas lieben konnte, das den Menschen derartiges Unheil zufügte. Der einfachste Weg war es, mir einzureden, dass ich den Krieg gehasst und damit abgeschlossen hätte, was ich oft auch bedenkenlos tat. Die ehrliche Antwort war jedoch, dass ich nur einzelne Dinge am Krieg gehasst und ihn gleichzeitig auch geliebt hatte, woraus ich schloss, unter einer milden Psychose zu leiden, was ich, wie so vieles andere, am besten vor meiner Außenwelt verbarg.
    Ein wundervoller Lehrer, John Mackie, mein Philosophie-Tutor in Oxford, befreite mich schließlich von diesem Problem, indem er mich fragte, warum ich annähme, nur eine Person in mir zu haben. Ich weiß noch, wie ich auf meinem Fahrrad die Woodstock Road hinunterfuhr und immer wieder in Lachen ausbrach, weil ich so erleichtert war. Zu denken, man könnte wahnsinnig sein, kann einen tatsächlich in den Wahnsinn treiben.
    Etwa eine Woche nach diesem Tutorial mit Mackie lieh mir Vicki, die mit bei uns im Haus wohnte, ein Buch von

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