Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
C.G. Jung, das ich die ganze Nacht nicht aus der Hand legen konnte. Wir sind Legion, sagt die Bibel. Wir haben einen Schatten, sagt C.G. Jung. Ein Teil von mir liebt es, Menschen zu verstümmeln, zu töten, zu foltern. Dieser Teil ist nicht mein ganzes Ich. Ich habe andere Teile, die das genaue Gegenteil davon sind und auf die ich stolz sein kann. Bin ich also ein Mörder? Nein, aber ein Teil von mir ist es. Bin ich ein Folterer? Nein, aber ein Teil von mir ist es. Empfinde ich Schrecken und Trauer, wenn ich in der Zeitung von einem missbrauchten Kind lese? Ja. Aber bin ich nicht auch so fasziniert von diesem Verbrechen, dass ich den ganzen Artikel und auch noch das kleinste grausige Detail lese?
Ich habe meine eigenen Kinder manchmal ganz leicht gequält. Meine eigenen Kinder! Wir nennen das Necken, und alles ist nur ein Spaß. Außer für das Kind selbst. Mein Gott,
ich
bin doch nicht verrückt,
ich
würde doch meine Kinder nicht quälen! Aber der verrückte Teil in mir mochte es manchmal einfach, sie aus der Fassung zu bringen, sie noch ein kleines bisschen länger im Schwitzkasten zu halten, obwohl sie wollten, dass ich aufhörte.
Wenn wir unsere Schattenexistenz erst einmal erkannt haben, müssen wir dem verlockenden Sog widerstehen, uns von ihr mitreißen zu lassen. Nicht wie Charles Manson oder Terroristenzellen zu reagieren und auch nicht wie der Filmemacher, der seine finsteren Mächte anzapft und in Zeitlupe über die Leinwand spritzen lässt. So darf man nicht damit umgehen. In der Gralslegende trifft Parzival auf seinen finsteren, mächtigen Halbbruder Vaire-Fils und ist unfähig, ihn zu schlagen. Als sie ihre Helme abnehmen, beschließen sie, sich zusammenzutun, statt sich weiter zu bekämpfen. Parzival war viele Jahre vorher aus der Gralsburg geworfen worden, weil er dem schrecklich verwundeten Fischerkönig nicht die mitleidige Frage gestellt hatte, was ihn denn schmerze. Jetzt, nach Jahren der Prüfung, versucht er den Weg zurück zu finden und nimmt Vaire-Fils mit sich, um zur Burg zurückzukehren und das Königreich zu heilen. Er verbindet sich mit Vaire-Fils nicht, um ihre gemeinsame Macht dafür zu nutzen, alle Ritter zu töten, die ihnen unterkommen, und Ruhm und Reichtum zu gewinnen. Aber, oh, gekonnt hätte er es.
Bei einer Veranstaltung, auf der wir ermuntert wurden, Gedichte zu rezitieren, die uns etwas bedeuteten, trug ich eines Abends ein Gedicht vom Krieger-Dichter der Wikinger, Egill Skalla-Grímsson, aus dem 10 . Jahrhundert vor.
»Das sagte meine Mutter,
man müsste mir kaufen
Schiff und feste Riemen,
zu fahren dahin mit Wikingern:
droben stehn am Steven,
steuern teuren Knörr,
halten so zum Hafen,
haun auf Mann nach Mann.« [22]
Robert Bly war ebenfalls da. Als ich fertig war, sah er zu Boden. Dann bat er mich, das Gedicht noch einmal vorzutragen. Ich sprach lauter und kräftiger. Er sagte, noch einmal, bitte, aber leiser. Ich folgte seiner Bitte. Dann sagte er: »Wie traurig.«
Ich war am Boden zerstört. Zaghaft sagte ich: »Es geht um unsere Schattenseiten«, aber ich wusste, etwas war schiefgegangen. Ich schwelgte in der Machtvorstellung, statt sie zu durchschauen, zu erkennen und bewusst damit umzugehen. Blys Kommentar machte mir das mit einem Schlag klar. An jenem Tag in Vietnam hatte ich es im Jeep stehend genauso gemacht und mich mit der Macht identifiziert. Das war wohl der Grund, warum mir dieses Bild so lange im Kopf geblieben war.
Schon im 10 . Jahrhundert redeten die Wikinger über Waffentechnologien und waren stolz auf sie. In sieben Achteln des Gedichts, das ich vorgetragen hatte, ging es um Schiffe, in einem Achtel um das Niedermachen von Männern. Was wir im Fernsehen über die beiden Golfkriege gesehen haben, war das Gleiche, psychologisch, wie das »Schiff und feste Riemen«, und dass die Riemen »fest« sind, bedeutet, dass ich besser bin als du. Die Waffentechnologie sorgt dafür, dass wir uns den zurückgewiesenen »Anderen« gegenüber überlegen fühlen, die für mich die armen Hurensöhne waren, die ich an jenem Tag so gerne niedergemacht hätte, falls sie es gewagt hätten, uns aufzulauern. [23]
Waffen sind Werkzeuge. Werkzeuge helfen, sie machen uns effizienter, sie vergrößern unser Ego. Fragen Sie einen guten Schreiner, was ein wirklich gutes Werkzeug für ihn ist. Wir verbessern unser Selbstwertgefühl, wenn wir gute Werkzeuge haben, worin wahrscheinlich der Grund dafür liegt, warum so viele Werkzeuge an Männer verkauft werden, die den
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