Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
zusammengerufen. In zehn oder fünfzehn Minuten Andacht hätten wir um Vergebung bitten und uns von unseren gefallenen Freunden verabschieden können.
Mitgefühl muss im Krieg bewusst gefördert werden. Unsere natürliche Tendenz geht dahin, in unserem Feind eine Kreatur zu sehen, die minderwertiger ist als wir. Durch diese Haltung können Soldaten sehr hässliche Aufgaben verrichten, sie führt aber auch zu unnötigem Leiden, wenn wir uns unser Tun nicht ständig bewusst machen. Es braucht Zeit, das richtige Mitgefühl zu entwickeln. Während der Kampfhandlungen, wenn man tatsächlich kämpft, braucht man alle Kraft, um sein eigenes Leben zu schützen. Unsere bereits erlernten Überlebensmechanismen schließen mitfühlende Reaktionen aus, wir kämpfen, um unsere Haut zu retten. Aber man kämpft nicht ständig, selbst in einem andauernden Gefecht nicht. Es gibt Zeitfenster, die sich nutzen ließen, nur leider führt die Art, wie wir heute kämpfen, dazu, dass wir nach einem Gewaltakt wahrscheinlich gleich den nächsten erleben und darauf in gewohnter Weise knapp reagieren, noch bevor wir die vorangegangene, ebenfalls verkürzte Reaktion reflektiert haben. Geht das lange genug so, verstopft das ganze System, und man stumpft völlig ab, je länger man weiterer Gewalt ausgesetzt ist. Erst viele Jahre später fangen sich die blockierten Verbindungen an zu lösen. Es müssen neue Rituale eingeführt werden, auf dem Schlachtfeld, auf der blutigen Straße, sofort, um das Blockieren von Bewusstheit und Mitgefühl auf ein Minimum zu reduzieren.
Das Ego verliert die Kontrolle, wenn das Gefühl (der Körper) regiert. Wenn du schluchzt, kontrolliert der Körper, nicht der Verstand, den Organismus. Das Ego ist Verstandessache und mag das nicht.
In einem späteren Kapitel über Gräueltaten werde ich von einem Vorfall erzählen, bei dem ein paar junge Burschen aus meinem Zug einigen getöteten Feinden die Ohren abschnitten und sich an die Buschhüte und Helme steckten. Ich bestrafte sie damit, dass ich sie Tote begraben ließ. Ich nahm an, sie würden es völlig mechanisch tun, aber eines der Kids fing dabei an zu weinen.
Warum begraben wir unsere Feinde nicht mit einer Zeremonie?
Sicher, direkt nach dem Gefecht müssen wir uns auf den Gegenangriff einstellen. Die Leichen werden beiseitegeschafft, so gut es eben geht. Ich habe sie mitunter als provisorische Sandsäcke benutzt. Das würde ich auch heute noch tun, dennoch gibt es immer einen Moment, in dem Zeit für ein Ritual wäre, zum Beispiel, wenn die Stellung errichtet ist und die Sicherungspatrouillen ausgesandt sind, wenn man von einer neuen Einheit abgelöst wird oder wenn der Befehl ergeht, wie es so oft vorkam, dass der gerade teuer erkämpfte Hügel wieder aufgegeben werden soll.
Selbst wenn die Gräber mit Bulldozern ausgehoben wurden, sollten die Leute, die diese Menschen getötet haben, an ihnen vorbeigehen und eine Handvoll Erde auf sie werfen. Sie oder ihr Anführer sollten ein Gebet sprechen, laut, und den Toten beider Seiten dafür danken, dass sie ihre Rolle in diesem finsteren Drama gespielt haben. Wir sollten den Leuten erlauben, die Toten zu verfluchen, weil sie ihre Freunde umgebracht haben, und wenn es die Jüngeren nicht können, sollten die Älteren, die dafür geschulten Offiziere und Unteroffiziere, Rituale des Vergebens und der Heilung durchführen. Sie sollten Dinge sagen wie:
»Segne diese Toten, unsere ehemaligen Feinde, die ihre Rolle gespielt haben. Sie wurden von Mächten gegen uns geschleudert, die uns gegen sie geschleudert haben. Segne uns, die Überlebenden, deren Rollen noch nicht zu Ende sind und die nicht wissen, wie sie gespielt werden sollen. Vergib uns, wenn wir unsere Feinde voller Zorn und Hass getötet haben. Vergib ihnen, wenn sie es genauso gemacht haben. Das Urteil liegt bei dir, nicht bei uns. Wir sind nur Menschen.«
Es wird Leute geben, die Angst davor haben, so etwas könnte den Killerinstinkt der Truppen unterminieren. Nun, wenn der Krieg sinnlos ist, wird es wahrscheinlich so sein. Wenn nicht, würde ich mir keine Sorgen machen. Stellen Sie sich die jungen NVA -Soldaten vor, die das Gleiche mit den jungen gefallenen Amerikanern tun, und fragen Sie sich, ob solch ein Ritual ihre Entschlossenheit hätte schwächen können. Stellen Sie sich die russischen Soldaten vor, die bis nach Moskau zurückgedrängt wurden und so ein Ritual mit den gefrorenen Leichen der jungen Deutschen vollziehen. Und dann nehmen Sie die
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