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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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Corps auf dem Buckel hatte, nur eben konnte. Ich sagte: »Ich kenne diesen Mann. Er war mit mir im Busch. Er ist ein guter Marine.« Ich machte eine Pause und hielt den Joint in die Höhe. Ich wünschte, meine Hand würde nicht zittern. »Das sieht für mich nach Tabak aus, Gunny.« [50]
    Der diensthabende Unteroffizier sah P-Dog an. P-Dog war so bleich, wie es ein schwarzer Junge nur sein konnte.
    »Darf ich die mal haben, Sir«, sagte er ruhig. Ich gab ihm den Joint. Er wandte sich an P-Dog. »Lieutenant Marlantes sagt, Sie sind ein guter Marine. Er muss etwas wissen, was ich nicht weiß.« Er brachte den Joint zum Sergeant hinüber und hielt ihn ihm hin. »Das sieht für mich wie Tabak aus. Sie stimmen mir doch zu, Sergeant, oder?«
    »Ja, Gunny, das ist eindeutig Tabak.« Der Gunny ging jetzt mit dem Joint durch den Raum. Er besaß das wundervolle Gespür des Berufsunteroffiziers und ehemaligen Ausbilders für dramatische Auftritte und fragte jeden im Raum, ob es Tabak wäre. Niemand widersprach ihm. Er gab mir den Joint zurück. »Wir stimmen Ihnen alle zu, Sir. Es ist eindeutig Tabak.«
    Als ich P-Dog später in dieser Nacht noch einmal sah, erwartete ich eine Art Dank, bekam aber keinen. Er war zu wütend wegen der Tatsache, dass er im Marine-Gefängnis hätte landen und unehrenhaft entlassen werden können, »…
 
nachdem ich etliche Liter Blut in diesem Drecksloch gelassen habe«, wie er sagte. Das war einer der Gründe, warum er ein so guter Kämpfer war: Er ließ sich sein Ziel nicht von Gefühlen vernebeln.
    Auf diesen bewussten Einsatz einer »Lüge als Waffe« bin ich immer noch stolz, genau wie ich auf all jene stolz bin, die mit mir gelogen haben. Lügen kann in seltenen Fällen von einem guten Charakter zeugen.
    Ich habe auch bei anderen Gelegenheiten bewusst gelogen. Kurz nach dem Vorfall mit P-Dog wurde ich Luftaufklärer, Flugleitoffizier und Marine-Artilleriebeobachter. Wir waren viel in niedrigen Höhen unterwegs, unter gefährlichen Bedingungen. Solange wir es für gerechtfertigt hielten, wenn Truppen in Schwierigkeiten oder wichtige Ziele auszukundschaften waren, riskierten wir Kopf und Kragen. Es kam allerdings auch vor, dass wir uns missbraucht fühlten.
    Eines Tages entdeckten wir etwas, das auf einen Bunkerkomplex hindeutete. Wir hatten keinen Kampfjet von den Marines oder der Air Force in der Nähe, und da wir wegen der gewohnt ausgezeichneten Tarnung der NVA auch nicht sicher sagen konnten, wie groß das Ziel war, wollten wir keinen Flug von Da Nang aus anfordern. Allerdings wussten wir, dass vor der Küste ein hübscher Navy-Kreuzer unterwegs war, und fragten den, ob er das Ziel nicht unter Beschuss nehmen wolle.
    Wenn man eine Granate von einem schaukelnden Schiff durch viele Luftströmungen auf einen mehrere Meilen hohen Bogen schickt und gut und erfahren ist, trifft man irgendwo in die Gegend, auf die man zielt. Mit »irgendwo« meine ich, mit einigen Metern möglicher Abweichung über einige Meilen Entfernung. Das ist natürlich immer noch höchst genau, aber eben doch keine intelligente Bombe, die in einen Ventilationsschacht trifft. Im Übrigen ist es praktisch unmöglich, einen Bunker mit Granaten zu zerstören, die in einem niedrigen Bogen abgeschossen werden, und see- wie landgestützte Artillerie mit den entsprechend steilen Winkeln muss genau aufs Dach treffen, um eine Wirkung zu erzielen. Kurz, einen Bunker zu erwischen, ist reine Glückssache. Ihn rundum mit Granaten einzudecken, ohne ihn zu treffen, entspricht der tatsächlich erzielbaren Genauigkeit, ohne das nötige Glück. Unser Kreuzer hatte kein Glück.
    Er beharkte den gesamten Komplex. Granate um Granate schlug ein, Erde, Rauch, Baumteile, das Areal wurde umgepflügt. Wir freuten uns über die Genauigkeit und gaben das an die Mannschaft durch. Dann, nach dem Beschuss, wollten sie natürlich wissen, was sie erreicht hatten.
    Das war keine einfache Frage. Einen Bunker mit einer einfachen, unbewaffneten O- 1 Charlie [51] in niedriger Höhe zu überfliegen, nachdem man gerade die Welt über den Insassen hat zusammenstürzen lassen, gleicht in etwa dem Versuch eines Hundes, seine feuchte schwarze Nase in das Loch eines Hornissennestes zu stecken, nachdem Herrchen kräftig mit dem Spazierstock darin herumgestochert hat. Aber wir folgten ihrem Wunsch. Es war unser Job.
    Wir zogen eine ziemliche Menge Feuer aus automatischen Waffen auf uns, während wir den Schaden einzuschätzen versuchten, verließen die Gefahrenzone

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