Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
Loyalität gab es in unserem Fall eindeutig nicht.
Im Busch sah man kaum einmal Offiziere, die älter als fünfundzwanzig Jahre waren. Die älteren bekamen wir nur zu Gesicht, wenn
wir
zu ihnen ins Hinterland kamen, und selbst dann redeten wir mit keinem von ihnen. Das lag zum Teil an der besonderen Art von Kriegsführung, weit verstreut und in Kompaniegröße. Und es lag daran, dass es viel zu viele Karriereoffiziere ohne jede Kampferfahrung gab, die genau wussten, dass ihr Brot von denen über ihnen gebuttert wurde und nicht von denen unter ihnen. Denen waren wir scheißegal.
Zusätzlich zum Zusammenbruch der Loyalität nach unten hatte es eine andere Veränderung gegeben. Uns war klar geworden, dass es bei unserer Operation nicht um Leben und Tod einer anderen Einheit ging, was sehr dazu beitrug, es nicht länger als eine Frage von Leben und Tod für uns zu sehen. Ohne diesen Druck funktioniert das oft missverstandene Diktum von Clausewitz eben nicht, dass der Krieg eine Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln sei. Truppen kämpfen nicht um Öl. Sie kämpfen, um die Ermordung und das Foltern anderer Menschen zu stoppen, gegen Terrorismus und die drohende Vernichtung des eigenen Volkes. Die »Diplomatie mit anderen Mitteln« muss sich mit der Psychologie von Neunzehnjährigen verbinden, oder sie wird scheitern. Was nicht so schlimm ist.
Wenn die Motivation des Kämpfers verletzt wird, sich als der Beschützer des Lebens in seiner maßgeblichen Einheit zu fühlen, wie es in unserem besonderen Fall in jenem Winter in den Bergen entlang der Grenze zu Laos der Fall war, lässt sich das nur wieder richten, lassen sich die Gefühle nur wieder dadurch mit den eigenen guten Instinkten in Einklang bringen, dass sich die Loyalität neu ausrichtet. In diesem Fall nach unten. Es scheint die einfachste Lösung zu sein. Sie scheint in Richtung der Schwerkraft zu arbeiten.
Der Kompaniechef präsentierte uns drei Möglichkeiten. Er konnte tun, was von ihm verlangt wurde, und das Risiko eingehen, Leben zu verlieren, indem Leute in der Dunkelheit von den Felsen stürzten. Er konnte sich den Befehlen mit der Begründung widersetzen, sie seien unsinnig und brächten seine Männer in Gefahr. Oder er konnte den Kontakt verlieren, die Schuld auf die schwachen Batterien des Funkgeräts schieben und einfach nicht mehr auf die Befehle reagieren. Er würde verdächtigt werden, das nur vorgetäuscht zu haben, aber das würde sich nicht beweisen lassen. Womit er rechnen musste, war, die Achtung des Bataillonskommandeurs zu verlieren, am Ende versetzt zu werden und eine laufbahnschädigende Beurteilung zu bekommen.
Wir alle beschlossen, den Kontakt zu verlieren, und der Chef zahlte den Preis, den ich gerade beschrieben habe. Er opferte sich für seine Einheit. Ich danke ihm bis zum heutigen Tag dafür. Für den Rest von uns gab es kein wirkliches Opfer.
Ein weiterer interessanter Aspekt von Treue und Loyalität, vielleicht ein atavistischer, war in dieser Situation zutage getreten: die Treue gegenüber dem Anführer. Wir alle hatten beschlossen, uns auf die Seite des Chefs zu schlagen. Ich persönlich hätte ihn unterstützt, ganz gleich, welche Möglichkeit er gewählt hätte. Wenn die Integrität oder Sicherheit der Einheit auf dem Spiel steht, tust du, was nötig ist, um die Einheit zu retten. Meine Einheit war jetzt die Kompanie, keine größere Entität wie das Marine Corps oder die Nation, weil meine Motivation verletzt worden war. Es standen keine Leben anderer auf dem Spiel, und uns gegenüber schien es keine Loyalität von oben zu geben. Der Kompaniechef verkörperte damit auf eine tiefe symbolische Weise die Entität, der gegenüber ich mich zur Treue verpflichtet fühlte.
Die Verschiebung von Loyalitäten zwischen verschiedenen Gruppen ist ein psychologisches Phänomen, das Krieger erkennen müssen, nicht, weil es unvermeidlich ist und Verhalten unter Stress erklärt, sondern weil es ihnen eine bewusste Wahl zu treffen hilft, wenn sie in eine Lage geraten, in der ihre Treue auf die Probe gestellt wird. Ich habe keine Schwierigkeiten, meine Entscheidung zu verteidigen, den Verlust des Funkkontaktes mit zu unterstützen, statt entweder den Befehlen zu gehorchen oder sie offen zurückzuweisen und die persönlichen Konsequenzen zu tragen. Ich deute jedoch darauf hin, dass die Entscheidung im Widerspruch zur extremen Formalisierung der Loyalität stand, wie sie im Bushidō niedergelegt ist, dem Verhaltenskodex der Samurai,
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