Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
der Ehre und Treue höher bewertet als das Leben. Das Bushidō beinhaltet die strengste philosophische Auslegung von Ehre und Loyalität, und Elemente davon existieren in allen militärischen Traditionen. Kein Angehöriger des Militärs kann mit dem Loyalitätsthema ins Reine kommen, wenn er oder sie sich nicht mit dem Bushidō auseinandergesetzt hat, seiner lichten und seiner dunklen Seite.
Inazo Nitobe liefert eine klassische Illustration des Ehrenkodexes, indem er die Geschichte von Michizanes Bedienstetem erzählt. [60] Michizane, ein gelehrter Samurai und Politiker, verliert durch verschiedene Machenschaften seiner Feinde seine Macht und wird aus der Hauptstadt vertrieben. Dieselben Feinde versuchen anschließend, Michizanes gesamte Familie auszulöschen. Sie erfahren durch ihre Spione, dass Michizanes junger Sohn insgeheim in einer Dorfschule versteckt worden ist, die von einem Lehrer namens Genzo geleitet wird, einem ehemaligen Bediensteten Michizanes.
Das Spiel ist aus. Genzo wird unter Androhung des Todes befohlen, den Kopf des Sohnes zu liefern. Genzo sucht verzweifelt nach einem Ersatz, aber keines der Kinder im Dorf besitzt die Züge des jungen Sohnes Michizanes. Er weiß nicht weiter. Kurz vor der Exekution kommt jedoch eine Frau mit ihrem Sohn, um ihn in der Schule anzumelden. Er ist genauso alt und gleicht dem jungen Sohn Michizanes auf verblüffende Weise. Genzo schlägt ihnen den Austausch vor. Mutter und Sohn lassen sich nicht anmerken, dass sich beide bereits, mit den Worten Nitobes, »auf den Altar gelegt hatten; er sein Leben – sie ihr Herz«. Die Mutter überlässt den Jungen seinem Schicksal. Genzo tötet das Kind und präsentiert dem Samurai-Inspektor nervös den Kopf. Seine Hand liegt dabei auf seinem Schwert. Er ist bereit zu kämpfen oder sich zu töten, wenn sich der Inspektor nicht täuschen lässt.
Der Inspektor, selbst der Sohn eines ehemaligen Bediensteten Michizanes, aber jetzt im Dienste von dessen Nachfolger, studiert den Kopf lange und sorgfältig und verkündet schließlich in geschäftsmäßigem Ton, dass es tatsächlich der Kopf von Michizanes Sohn sei, und nimmt ihn mit, um ihn seinem neuen Meister zu präsentieren.
An dem Abend wartet die Mutter auf die Rückkehr ihres Mannes. »Jubiliere, meine Frau, unser Lieblingssohn hat seinem Meister einen Dienst erwiesen!« Der Inspektor war der Vater des toten Jungen.
Man begreift diese Geschichte nur, wenn man die grundsätzliche Philosophie des Bushidō versteht. Der Vater des Inspektors hatte lange im Dienst Michizanes gestanden und viel von ihm bekommen. Der Inspektor selbst würde seinem eigenen grausamen Meister gegenüber niemals untreu werden, aber sein Sohn konnte der Sache des Meisters seines Großvaters, Michizane, treu sein. Mutter, Vater und Sohn hatten den Plan gemeinsam beschlossen.
Im Kern besagt das Bushidō, dass Treue und Loyalität wichtiger sind als das Leben, dein eigenes oder das deines Kindes. Ein Anhänger des Bushidō würde sofort sein Leben opfern, um seinen Meister oder sein eigenes Gewissen nicht zu verraten. Das wirkt für die meisten Amerikaner verrückt, aber das liegt allein daran, dass wir das Individuum höher bewerten als die Gruppe oder die Gesellschaft. Bei den Japanern war das, damals ganz sicher, anders. Der Kern des Bushidō bleibt jedoch wahr: Treue und Loyalität sollen immer dem höheren Gut gelten.
Noch einmal Nitobe, der in
Bushidō
schreibt: »Das Bushidō verlangte nicht, dass wir unser Gewissen zum Sklaven irgendeines Meisters oder Königs machten … Wenn ein Subjekt anderer Meinung als sein Meister war, verlangte seine Loyalität von ihm, diesen mit allen verfügbaren Mitteln zu überzeugen zu versuchen, dass er irrte, wie es Kent bei König Lear tat. Gelang ihm das nicht, ließ er den Meister gemäß dessen Vorstellungen handeln. In solchen Fällen war es durchaus üblich für einen Samurai, bei seinem letzten Appell an die Intelligenz und das Gewissen seines Meisters die Aufrichtigkeit seiner Worte mit dem Vergießen seines Blutes zu demonstrieren.« [61]
Die Japaner haben kein Monopol auf diesen positiven Aspekt des Bushidō. Die irakischen Offiziere, die hingerichtet wurden, weil sie gegen Saddam Husseins Plan waren, in Kuwait einzumarschieren, verstanden alle gut den Wert, der darin liegt, dem eigenen Gewissen zu folgen, wenn es zu einem Loyalitätskonflikt kommt. Aber solche Männer sind selten. Draußen im Dschungel besaß ich weder die Weisheit noch die Reife,
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