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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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schaffen mussten, um ausgeflogen zu werden.
    Wir waren mit ihnen kurz außerhalb der Landezone zusammengetroffen. Sie sahen ganz teigig aus, die wasserdurchtränkte Haut grau vor Erschöpfung. Ihre Toten trugen sie an Bambusstangen gebunden, wie erlegte Tiere an Händen und Füßen hängend, die Verwundeten auf dem Rücken. Wir boten ihnen etwas von unserem Proviant an.
Semper fi.
Sie nahmen ein wenig für die Verwundeten, dazu ein paar Zigaretten, um gegen Kälte und Schwermut anzukämpfen, aber sonst nichts, sie wussten, dass wir den Proviant dringender brauchten als sie, die dort bald schon herauskommen würden.
Semper fi
in der Gegenrichtung. Die Geister dieser Art von Menschlichkeit sind mit allen Kampfeinheiten.
    Eine zweite Kompanie war in solcher Hast von einer Feuerunterstützungsbasis ausgeflogen worden, um uns zu folgen, dass sie nicht ausreichend Rationen für eine Operation dabeihatte, und so war uns befohlen worden, die Hälfte unserer Rationen in einem Versteck zurückzulassen.
    Nach zwei Tagen Plackerei waren unsere Vorräte knapp geworden, aber niemand machte sich Sorgen. Im Gegenteil, wir waren guter Stimmung. Wir waren bisher nur in ein kleines Scharmützel geraten, bei dem niemand verwundet wurde, hatten das Munitionslager erreicht und es zum großen Vergnügen aller in die Luft gesprengt. Am nächsten oder übernächsten Tag schon würden wir wieder unten sein und abgeholt werden. Wir waren bereits auf dem Rückweg zur Landezone, als der Befehl kam, auf weitere Befehle zu warten. Wir warteten einen halben Tag, und die Schimpferei wurde schlimmer. Hungrig zu sein, erhöht die Gereiztheit. Ein uns Unbekannter in Da Nang oder Saigon entwickelte gerade die letzten Details eines Plans, für dessen Durchsetzung auf einem bestimmten »in diesem Bereich« liegenden Berg eine neue Stellung errichtet werden musste.
    Nun, »in diesem Bereich« ist eine relative Angabe. Für jemanden in Da Nang oder Saigon mit einer Karte im entsprechenden Maßstab schrumpft eine in den Bergen beträchtliche Strecke auf die Breite eines Fingers, und unsere Kompanie war nur ein paar Fingerbreit von diesem Berg entfernt, der also praktisch nebenan lag. Auf unserer genaueren Karte waren es
sechzehn
Fingerbreit – Luftlinie. Und wir konnten nicht fliegen. An einem Tag, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, schafften wir gerade mal zweieinhalb Fingerbreit. Für einen Stabsoffizier, der nie die Blasen auf seinen Händen hat wachsen sehen, während er sich mit einer Machete durch den dichten Dschungel kämpfen muss, ist es unmöglich, sich vorzustellen, wie langsam man da vorankommt. Die meisten Nordamerikaner haben schon mal ein wildes Brombeerdickicht gesehen, das bis hoch über den eigenen Kopf reicht. Sie würden es für Wahnsinn halten, sich da durcharbeiten zu wollen. Aber das ist genau die Art Dickicht, die ich meine, wenn ich von einem dichten Dschungel spreche. Mit dazugerechnet werden muss der Umstand, dass jeder einzelne Schlag ein genaues Signal für den jeweiligen Standort aussendet, und übrigens, es geht bergauf, mit fünfundvierzig Grad Steigung. Oh, und seit zwei Tagen hat es nichts mehr zu essen gegeben.
    Die Funkgeräte liefen heiß mit Fragen nach unserem Vorankommen. Artilleriestellungen, Hubschrauber, Versorgungsdepots und alle möglichen anderen Einheiten konnten mit ihren Operationen nicht fortfahren, weil unsere Kompanie den ausersehenen Berg und damit auch die versprochene Landezone nicht einrichtete. Ganze Laufbahnen werden von solchen Dingen in Mitleidenschaft gezogen.
    Wir versuchten lange Zeit anzunehmen, dass es einen guten Grund für die wahnsinnige Hast gab. Aber nach ein paar Tagen waren wir überzeugt, dass es nicht um das Leben von Marines gehen konnte. Das war der zentrale Punkt. Andere Leben sind es wert, das eigene aufs Spiel zu setzen, auf die Zeitpläne von Generälen, bei denen es nicht um die Rettung von Leben geht, trifft das nicht zu. Und ganz sicher nicht in dieser Gegend, wo kein Berg, keine Anhöhe wichtig war, keine Schlacht von Bedeutung, es sei denn für Tötungsquoten. Die Einheit, mit der wir uns identifizierten, begann sich zu ändern. Unsere Loyalität bekam Risse.
    George Patton sagte einst: »Es wird viel geredet über die Loyalität von unten nach oben. Loyalität von oben nach unten ist weit wichtiger, und viel weniger weitverbreitet. Es ist diese Loyalität von oben nach unten, die die Jungs an ihre Vorgesetzten bindet, mit der Stärke von Stahl.« [59] Diese umgedrehte

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