Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
Vom Netzwerk:
noch unerfahren. Er hatte, abgesehen von unserer umkämpften Landung, erst ein richtiges Gefecht mitgemacht, und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass mein alter Zug ohne mich angriff. Mein tatsächlicher Posten als Nummer zwei wäre bei der Kompanieführung auf einem kleinen Hügelchen unter dem Grat gewesen, um dem Chef beim Dirigieren der Artillerie und der Feuerunterstützung durch den Zug mit den schweren Waffen zu helfen und ihn zu ersetzen, sollte er verwundet oder getötet werden. Ich ertrug es nicht. Ich sagte dem Chef, ich würde mich dem Angriff anschließen, und wartete seine Antwort gar nicht erst ab.
    Das kleine Hügelchen und die größere Erhebung, auf der sich die NVA eingegraben hatte, waren durch einen öden, kargen Kamm miteinander verbunden, den oberen Grat. Ich rannte diesen Kamm zwischen dem Kommandoposten und den angreifenden Marines hinunter. Die Sturmgruppe hatte sich bereits entlang der FLD [63] verteilt, die über die Gratlinie führte, ein Ende in den Südhang, das andere den Nordhang hinunter. Ich wusste, wie wichtig es war, die Angriffsreihe zusammenzuhalten, da die Trupps dazu tendieren würden, auf ihren Seiten des Grates hinunterzurutschen und damit eine Lücke in die Angriffsfront zu reißen und die Kraft zu mindern, die auf die NVA -Bunker ausgeübt wurde. Bei einer Attacke wird normalerweise davon ausgegangen, dass die Verteidiger einen Drei-zu-eins-Vorteil haben, hauptsächlich, weil sie sich eingegraben und ihre Waffen auf alle einfachen Wege gerichtet haben, die nach oben führen.
Nach oben,
das bezeichnet einen weiteren wichtigen Umstand. Einen Hügel anzugreifen, erschöpft die Angreifer enorm und macht sie entsprechend langsam und verwundbar. Um Erfolg zu haben, muss alle Kraft und aller Zorn aktiviert und selbst noch auf den kleinsten möglichen Punkt konzentriert werden.
    Artilleriegranaten schlugen in den Hang über uns ein. Die Schrapnellsplitter flogen bis zu mir herüber, während ich auf die FLD zurannte. Auf diesem Weg zu meinem alten Zug und dem Angriff entgegen verspürte ich eine überwältigende Erregung, fast schon Freude. Ich schloss mich
meiner
Einheit wieder an. Ich war fast verrückt vor Adrenalin. Das Schreien und der die Erde erzittern lassende Artilleriebeschuss füllten die Luft um mich herum mit einem pulsierenden, alles erschütternden Lärm, der durch die Sohlen meiner Dschungelstiefel drang und mir ins Gesicht und in die Ohren schlug. Ich bin aus Flugzeugen gesprungen, von Klippen, habe alles aus Autos herausgeholt, Drogen genommen und doch nie etwas Vergleichbares erlebt. Die Schlacht ist das Crack aller Erregungsstufen, und zu genau diesem Preis.
    Der Artilleriebeschuss brach ab, Rauchgranaten explodierten, wir standen auf und bewegten uns, umhüllt von unheimlichem Schweigen, auf den Hang zu. Wir warteten auf die ersten Schüsse. Und dann, auf der ganzen Breite unserer Front, eröffneten Maschinengewehre und kleinere Waffen das Feuer. Die Kugeln flogen uns um die Ohren, schlugen in die Erde und töteten. Wir warfen uns vor. Alles war Blut in der Kehle, Schreien, Rennen, Wut, Lärm und Chaos.
    Ich schrie die Leute immer wieder an, keine Lücke aufbrechen zu lassen. Ihre Reaktion war bewundernswert. Wir erreichten den Hang, der den Hügel hinaufführte, gemeinsam, und damit begann der extrem harte Job, ihn unter Feuer zu erklimmen. Der neue Zugführer hatte gleich alle Hände voll damit zu tun, durch oder um eine Bunkerformation und etliche Erdlöcher auf unserer rechten Flanke zu kommen, etwa auf halber Höhe des Hanges. Ich rannte um einen kleinen Erdhaufen links von der Stelle, wo der Grat auf den Hang traf, arbeitete mich seitwärts über den Rand und mühte mich, zwei Trupps wieder zusammenzubringen, die auseinandergetrieben waren, während ich gleichzeitig die Leute links von uns weiter aufzufächern versuchte, die eine Ansammlung zu bilden begannen. [64] Da sah ich Utter, einen großen, ungelenken Achtzehnjährigen, der mit dem Rücken gegen den steil aufsteigenden Hang gelehnt dastand und verzweifelt versuchte, das Magazin in sein M 16 zu bekommen. Ich sehe noch seinen Adamsapfel auf und ab tanzen. Er war kurz vor einer Panik.
    Ich warf mich gegen den Hang, der hier so steil war, dass wir mit dem Rücken dagegenlehnten, aber doch standen und aufs Tal unter uns hinuntersehen konnten. Über unseren Köpfen durchbrachen Kugeln mit lautem Knallen die Schallmauer, doch wir lehnten in einer kleinen Einbuchtung und waren vor ihnen sicher.

Weitere Kostenlose Bücher