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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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Ribbon [65] , das mehr eine Formalität war. Dennoch war ich stolz. Beides zeigte, dass ich dort gewesen war und mit dazugehörte. Während meiner Zeit im Pentagon holten mich dann jedoch die Formalitäten ein, und es schien fast so, als müsste ich alle paar Wochen vor einen General treten, um eine weitere Auszeichnung in Empfang zu nehmen. Es wurde eine Art Bürowitz. Und ich, Mr. Hotshot, wurde immer besonderer.
    Ein gesellschaftlich zertifizierter Held zu werden, ist eine Möglichkeit, sich als etwas Besonderes zu erweisen. Ich habe Menschen erlebt, die sich bei der Arbeit und zu Hause halb umbringen, um ihre Häuser abzubezahlen, die viel zu groß für sie sind, oder Urlaube zu machen, die sie sich absolut nicht leisten können, nur um etwas Besonderes zu sein. Im Krieg einen Orden zu wollen, bedeutet, sich schneller umzubringen, aus genau den gleichen falschen Gründen.
    Mit dem Band, das mir an die Brust geheftet wurde, ließ ich all jene hinter mir zurück, die das Band nicht bekamen. Besser noch, ich lernte schnell, dass die meisten höherrangigen Leute, die hinter meinen Bänderreihen zurückblieben, mich wegen kleinerer Verstöße nicht zusammenstauchen wollten. Ich reizte das bis zum Anschlag aus. Ich las die Vorschriften zum Haarschnitt und ließ meine Haar bis ans absolute Limit wachsen. Jede Woche ließ ich sie schneiden, um damit am Rande der Annehmbarkeit zu bleiben. Ich fand heraus, dass Schnauzbärte erlaubt waren, und ließ mir ein dünnes kleines Ding wachsen, das mich aussehen ließ wie einen mit Mais gefütterten Ho Chi Minh.
    Das alles fand ein abruptes Ende, als mich ein Major aus einer anderen Abteilung, mit dem ich gelegentlich zu tun hatte, zu sich in sein Büro bat. Er hatte auch nicht annähernd so viele Auszeichnungen wie ich, aber er war in Vietnam gewesen. Ich sehe ihn noch auf seinem Schreibtisch sitzen und aus dem Fenster sehen, während ich relativ entspannt dastand. Endlich wandte er sich mir zu und sagte: »Marlantes, es ist mir völlig egal, wie viele Auszeichnungen Sie auf Ihrer Brust tragen. Sie sehen fürchterlich aus. Sie sind eine verdammte Schande für Ihre Uniform, und auf diese Uniform bin ich stolz. Und jetzt raus hier, und bringen Sie sich gottverdammt noch mal in Ordnung.«
    Ich kann mich an den Namen des Mannes nicht mehr erinnern. Wenn ich es könnte, würde ich ihm persönlich danken. Eine verdammte Schande hat er mich genannt.
    Ich fühlte mich schrecklich, als ich sein Büro verließ. Zu viele meiner Freunde waren in einer Uniform der Marines gestorben. Ich brachte mich in Ordnung und fing an, darüber nachzudenken, warum ich mich so unmöglich benommen hatte.
    Wir alle wollen etwas Besonderes sein, wollen herausstechen. Dagegen lässt sich nichts sagen. Die Ironie ist jedoch, dass jedes menschliche Wesen von Beginn an etwas Besonderes ist, wir kommen einzigartig auf diese Welt. Aber dann gehen wir durch eine Art Bootcamp und lernen bis zu unserem achtzehnten Lebensjahr alle nur erdenklichen Möglichkeiten, nicht einzigartig zu sein. Das jedoch führt zu dem unterbewussten Wunsch, sich als etwas Besonderes zu erweisen, als etwas Besonderes in den Augen der anderen, der Gleichaltrigen, dass man besser sein, mehr Macht haben will. Beim Militär konnte ich diese Macht allein durch die Auszeichnungen auf meiner Brust ausüben. Durch sie wurde ich geachtet und nicht, weil ich gerade in dem Moment etwas getan hatte, womit ich mir diese Achtung verdiente. Das war eine nette Sache, aber auch eine psychologische Falle, die eine Weiterentwicklung verhindern und einem erlauben kann, mit wirklich abzulehnendem Verhalten durchzukommen.
    Zu einem Großteil ließ sich mein Verhalten als Ergebnis der schwierigen, fürchterlichen Zeit der Rückkehr erklären, die so viele Vietnam-Veteranen durchmachten. Ich wollte verzweifelt von meiner zweiten Peergroup akzeptiert werden, jungen Mitgliedern der Zivilgesellschaft im Collegealter. Und um meiner Verbundenheit mit diesen Altersgenossen Ausdruck zu verleihen und ihre Achtung und Bewunderung als der »rebellierende Anti-Kriegs-Marine« zu gewinnen, fing ich an, militärische Werte wie den Stolz auf die Uniform abzulegen. Ein schöner Protest.
    Wenn ich heute genauer darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass ich bezüglich einiger der Auszeichnungen auf meiner Brust ziemlich gemischte Gefühle hatte. Ich kannte viele Marines, die mutige, tapfere Dinge getan hatten, ohne dass sie jemand wahrgenommen hätte und sie dafür ausgezeichnet

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